Das Patent
Seine Stimme klang nun noch entfernter als zuvor. Zwischen den Reflexionen im Gang flackerte in Sarahs Blickfeld eine neue auf: John Doe. Er hielt den Lageplan nun gesenkt und hatte den Kopf schief gelegt, als lausche er. Sarah schaute stumm zu, während das Hologramm die kurze visuelle Schleife ständig wiederholte.
»Wissen Sie, was ich glaube, Sarah? Ich glaube, wir sind nicht mehr allein.«
Sarah wartete ab. Warnes Hand war noch immer erhoben und gebot ihr zu schweigen.
»Ehrlich gesagt, ich weiß, dass wir nicht allein sind. Ich sehe ein drittes Hologramm, Sarah. Aber es bildet nicht Sie ab und auch nicht mich. Wer ist dieser Mann?«
Im Gang war es still.
»Ich glaube, ich kann es erraten. Es ist der lästige Dr. Warne.
Der aufdringliche Dr. Warne. Habe ich Recht?«
Sarah schaute Warne an. Er erwiderte ihren Blick.
»Das gehört aber nicht zu unserer Abmachung, Sarah. Zuerst die Brille - jetzt das. Ich bin ernstlich verärgert.«
John Does Hologramm schwankte, dann veränderte es sich, als die Wiedergabe das Bild durch ein neueres ersetzte: Es war wieder John Doe. Eine kurzläufige Pistole baumelte in seiner Hand.
Aus den Tiefen des Labyrinths drang das Geräusch laufender Schritte an ihre Ohren.
»Er kommt!«, flüsterte Warne.
Sarah gab ihm mit einer Geste zu verstehen, er solle ihr folgen. Dann rannte sie geradeaus durch den Gang, vorbei an Spiegelbildern und Hologrammen, fort von der Richtung, aus der John Does Stimme ertönte. Sie sah schwache Abbilder ihrer selbst, die beim Passieren an ihr vorbeieilten. Das Geräusch ihrer Absätze und ihr lauter Atem erfüllten den engen Gang. Sie bog um eine Ecke, dann um eine weitere.
Dann blieb sie so plötzlich stehen, wie sie losgelaufen war.
»Halt!«, wies sie Warne an.
Irgendetwas veränderte sich in ihr. Vielleicht lag es an der unglaublichen Geschichte, die Warne erzählt hatte; vielleicht auch am Anblick von John Does Waffe. Der Gefühlssturm in ihr löste sich nun auf und ließ nur wilde, stählerne Wut zurück.
Sarah zog das Funkgerät aus der Tasche. »Carmen?«, sagte sie schwer atmend. »Carmen, sind Sie da?«
»Ja, Miss Boatwright«, kam die Antwort. »Können Sie mir bitte sagen, was da los ist?«
»Später. Können Sie etwas für mich tun? Schalten Sie im >Holokabinett< das Licht aus.«
»Das Licht ausschalten?«
»Sämtliche Lampen. Und zwar sofort. Können Sie das machen?«
»Ja... Ja, das kann ich.«
»Dann tun Sie es.«
Sarah schob das Funkgerät in die Tasche zurück. Dann beugte sie sich zum nächsten Spiegel vor und registrierte die in den Rahmen eingebrannte Zahl. Sie zog die frisch kopierte Disc aus der Tasche und lehnte sie an den unteren Rand des Spiegelrahmens. Dann bedeutete sie Warne, ihr zu folgen, und führte ihn, nun langsamer, zu dem sechseckigen Raum zurück. Von dort aus würde sie den Rückweg finden. Auch im Dunkeln.
Sarah holte tief Luft. Dann drehte sie sich um und rief so laut und entschieden, wie sie nur konnte: »Mr. Doe! Wenn Sie die Disc haben wollen, bleiben Sie auf der Stelle stehen!«
Sie verharrte, um zu lauschen, doch die Antwort bestand nur aus Schweigen.
»Sie haben gesagt, ich hätte Ihr Vertrauen missbraucht. Nun, diesmal haben Sie das meine missbraucht.«
»Tatsächlich«, meldete sich Does Stimme. »Ich bin hingerissen.«
»Sie haben ein weiteres Fahrgeschäft sabotiert, worauf noch mehr Menschen verletzt wurden. Grundlos. Ich habe Ihre Befehle befolgt, ich habe Ihnen die DVD gebracht. Was also soll die Waffe?«
Stille.
»Das kann ich beantworten!«, mischte Warne sich ein. »Sie wollen nicht nur die Disc, Sie wollen auch Sarah. Als Geisel. Aber vielleicht wollen Sie sie auch nur umbringen und im anschließenden Durcheinander verschwinden. Wäre das nicht eine schöne Überraschung?«
»Eine Überraschung, Mr. Warne?«, erwiderte die seidige Stimme. »Ich habe noch jede Menge Überraschungen auf Lager.«
»Dann überraschen Sie mich doch mal damit, dass Sie das Unerwartete tun. Lassen Sie Sarah einfach gehen! Zeigen Sie uns, dass Sie flexibel sind!«
Das Licht ging schlagartig aus und hüllte alles in Finsternis.
Sarah packte Warne am Ellbogen.
»Mr. Doe!«, rief sie und wich langsam zurück. »Hören Sie! Die Disc ist hier. Sie lehnt am Pfosten sechs, neun, vier, zwei.
Hören Sie? Pfosten sechs, neun, vier, zwei, unten am Rahmen! Ich gehe aber jetzt. Sie haben die Regeln verletzt, deswegen spiele ich nicht mehr mit. Im Dunkeln wird es zwar eine Weile dauern, aber ich bin
Weitere Kostenlose Bücher