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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lowery
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darüber nachdenken (worüber, bekam ich nicht mit) und sich wieder bei ihr melden.
    Nach dem Ganzen hatte ich die Nase gründlich voll. Auf der Heimfahrt fragte ich, warum sie so lange mit Dave King geredet und warum sie ihm ihre Handynummer gegeben hätte, warum sie mich ständig in Verlegenheit bringen müsste, indem sie sich nackt auszog, und warum sie auf meinen Schwimmtrainer, diesen Wahnsinnigen, stünde.
    Fast wäre sie mit dem Auto von der Straße abgekommen. »Was sagst du da?«
    Anscheinend war ich zu weit gegangen.
    Mum holte tief Luft. »Du hast keine Ahnung, oder? Wenn du es unbedingt wissen willst, Mr. King ist ein sehr netter Mann und kein Wahnsinniger, und zwei Erwachsene können durchaus befreundet sein, ohne ›aufeinander zu stehen‹. Dein Vater und ich finden Dave und seine Frau ganz reizend, und trotz Daves Vorbehalten gegen deinen Bruder bin ich überzeugt, dass unsere beiden Familien gut befreundet sein werden.«
    »Warum musstest du ihm dann deine Handynummer geben, und was meinst du, was Dad davon hält?«, fragte ich.
    Mokiert drehte Mum das Radio lauter.
    Was schon richtig übel war, wird noch schlimmer
    Am folgenden Freitag saß ich nach der Schule im Wohnzimmer und zappte mich durch sämtliche Fernsehsender. Mum machte in der Küche das Abendbrot. Ich bemühte mich, ihr aus dem Weg zu gehen, weil sie, abgesehen von einer Schürze, völlig nackt war. Das dürfte unhygienisch sein. Ich hatte bereits beschlossen, dass ich keinesfalls einen Bissen essen würde. Stattdessen würde ich die Packung Custard Creams von letzter Woche verputzen.
    Seit dem Kunstkurs vor ein paar Tagen hatte sie im Haus kein einziges Mal Kleidung getragen. Sie redete bloß noch davon, wie herrlich sie sich fühle und wie befreiend das Ganze sei. Am Vortag hatte sie sogar vorgehabt, so einkaufen zu gehen.
Einkaufen!
Dad hatte sie anflehen müssen, es nicht zu tun. Er hatte gesagt, das sei gesetzeswidrig. Sie hatte entgegnet, dass sie tue, was ihr gefalle, und die Gesetze auch bloß aus Buchstaben bestünden.
    »Nein, die Gesetze sorgen dafür, dass man seine vier Buchstaben verhüllt«, erwiderte Ste. [40]
    Das Ganze lief aus dem Ruder. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie alle Fesseln abwerfen würde.
    Jedenfalls war ich gerade im Wohnzimmer, als es draußen klingelte. Da ich dachte, dass es wahrscheinlich Paul Beary war, der ungefähr viermal am Tag »zufällig vorbeikam«, seit er Mum in der Woche zuvor nackt gesehen hatte, sprang ich auf und schaute zum Fenster hinaus.
    Es war Lucy King.
    »Mach bitte auf, Michael«, rief Mum aus der Küche.
    Ich war überrascht. Ste hatte gesagt, er gehe ins Kino, und ich hatte gedacht, mit Lucy.
    Großartig
    Vielleicht hatte sie ihm den Laufpass gegeben und war gekommen, um Mum zu erzählen, wie er wirklich war.
    Katastrophe!
    Sie durfte Mum nicht so sehen.
    Ich lief zur Tür und öffnete sie einen winzig schmalen Spalt.
    »Oh. Hi, Mike«, sagte Lucy. Sie trug ein großes, flaches Paket unterm Arm, das in braunes Papier eingeschlagen war. Ihr Haar war noch nass vom Schwimmen, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.
    »Hi, Lucy«, piepste ich und streckte den Kopf durch den Türspalt. »Wie geht’s?«
    »Ich bin müde«, sagte sie gähnend. »Dad ist immer noch wütend, weil ich neulich zu spät zum Training gekommen bin. Aber das holt er jetzt alles nach. Die letzten paar Tage waren mörderisch. Extratraining und alles. Und heute Abend muss ich auch noch ins Fitnessstudio. Ist Ste da?«
    »Ste? Ist der nicht bei dir?«, fragte ich.
    Lucy blickte über die Schulter und tat so, als sähe sie unter dem Paket nach, das nahezu quadratisch war. »Äh, ich glaube nicht.«
    Ich lachte ein bisschen zu laut. »Haha! Offensichtlich nicht. Du bist ja allein.«
    Vermutlich klang ich ziemlich irrsinnig.
    Lucy trat einen Schritt zurück. »Stimmt. Weißt du, wo er ist? Anscheinend ist sein Handy kaputt, denn ich konnte ihn den ganzen Tag nicht erreichen.«
    »Im Kino«, erwiderte ich. »Er ist im Kino. Mit Freunden.« Keine Ahnung, warum ich das noch hinzufügte. Ste hatte nichts davon gesagt, dass er mit seinen Freunden verabredet war. Aber es kam mir wohl ziemlich seltsam vor, dass Ste ohne Lucy ins Kino ging, und ich wollte nicht, dass sie zu viele Fragen stellte.
    »Oh, okay«, sagte sie. »Ist deine Mum da?«
    »Nein«, sagte ich. »Die ist weg.«
    »Weg?«
    »Na…« Ich hätte fast »nackt« gesagt und konnte mich gerade noch bremsen.
    Lucy sah mich seltsam an.

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