Das Pest-Gewölbe
noch immer schwang die Stimme durch ihren Kopf. Sie klang so schrecklich neutral, so daß Wilma bisher nicht herausgefunden hatte, ob eine männliche oder weibliche Person zu ihr sprach. Vielleicht eine neutrale, ein regelrechtes Neutrum, aber sie war sich sicher, daß sie dieses Wesen in dem Pest-Gewölbe erwarten würde.
An nichts anderes konnte sie denken, und die jungen Begleiter hatten Mühe, mit den beiden Frauen Schritt zu halten. Sie wunderten sich, wie sicher sie um eine künstliche Wand geleitet wurden und plötzlich vor einer Eisentür standen.
»Hier ist es?« flüsterte Stefan.
»Ja.«
»Und hinter der Tür liegt das Gewölbe?« Er schaute sich um, ob sie auch nicht beobachtet wurden. »Genau.«
»Die sieht aber abgeschlossen aus.«
»Ist sie nicht«, sagte Wilma mit einer singend klingenden Stimme und trat auf die Tür zu. »Man hat sie von innen geöffnet.« Sie legte eine Hand auf die schwarze Klinke, und vier Augenpaare schauten zu, wie sie die Tür aufzog.
»Tatsächlich«, flüsterte Uli Wolters. »Da… da… ist sogar eine Treppe.«
Jeder sah die Stufen, und nur einer dachte an Monika, Jochen Köcher nämlich.
»Wo steckt denn Monika? Sie wollte doch auf uns warten. Ich habe sie nicht gesehen.«
Janina gab die Antwort. »Wahrscheinlich ist sie schon nach unten gegangen.« Sie drückte Jochen ihre Handflächen gegen den Rücken.
»Los, beeil dich, wir müssen runter!«
»Wie du meinst.«
Keiner wollte den Angsthasen spielen. Janina ging vor, die drei Freunde folgten ihr, und den Schluß machte Wilma Oehler. Da sich keiner umdrehte, sah auch niemand ihr wissendes und leicht teuflisches Lächeln…
***
Als Angsthasen hatten sich Stefan, Jochen und Uli eigentlich nie gefühlt.
Doch jetzt, nachdem sie auch eine zweite Tür hinter sich gelassen hatten, eine alte, stinkende Holztür, da befanden sie sich in einer Welt, die ihnen schon Furcht einflößen konnte, denn im ersten Augenblick war es ihnen nicht möglich, die Hand vor den Augen zu sehen. Die Finsternis war schwarz wie Tinte.
»Scheiße«, stöhnte Stefan, »wo sind wir denn hier gelandet?« Er tastete um sich und hörte die Beschwerde seines Freundes Uli, dessen Gesicht er erwischt hatte.
»He, paß lieber auf.«
»Ja, ja, schon gut. Aber ich weiß noch immer nicht, wo wir hier sind!«
»Komm mit«, flüsterte Wilma. »Das ist gut. Wohin denn?«
»Laßt euch führen!«
»Kennt ihr euch denn aus?«
»Sicher.«
Die jungen Männer trauten dem Braten nicht. Sie standen dicht beisammen, Stefan und Uli spürten die Hände von Wilma und Janina, wie sie sich in die ihren schoben und Zugriffen.
»Das wird okay sein. Haltet ihr Jochen fest, ansonsten werden wir euch führen.«
»Das hört sich an, als würdest du dich auskennen«, flüsterte Uli Köcher.
»Vielleicht.«
»Verdammt, Wilma, du wirst mir immer unheimlicher.«
»Alles hält sich in Grenzen.«
Sie gingen, und sie wehrten sich auch nicht mehr. Das finstere Gewölbe hatte sie geschluckt wie ein riesiges Maul, in dem die pechschwarze Dunkelheit nistete. Aber ein Maul, das nicht leer war. Es gab überall Hindernisse, Vorsprünge, Ecken, Kanten, Wände, und so schlichen sie durch Gänge und wußten schon bald nicht mehr, wo sie waren.
Wahrscheinlich wollte jeder von ihnen zurück, aber keiner traute sich, davon zu reden. Sie nahmen den Gestank wahr, der sich wie ein großes Netz über sie gelegt hatte. Sie ekelten sich davor. Auch wenn Zeit vergangen war, sie schafften es einfach nicht, sich daran zu gewöhnen, und die Furcht vor dem Unbekannten und auch davor, für immer in diesem Gewölbe verschollen zu sein, wuchs von Sekunde zu Sekunde an. Sie bekam schon panische Züge. Ihre Hände hatten sich ineinander gekrampft, als wären sie die letzten Rettungsanker, und es War Jochen Köcher, der plötzlich nicht mehr wollte. Als er ohne Vorwarnung stehenblieb, lösten sich seine Hände aus denen seiner Freunde.
»Verdammt, ich will nicht mehr!«
»Wir auch nicht!« sagte Stefan. Er hatte für Uli mitgesprochen. »Laßt uns wieder zurückgehen!«
»Nein!« sagte Wilma.
»Warum denn nicht? Bringt das was, hier in der Dunkelheit umherzuirren? Ich habe mich schon ein paarmal gestoßen. Wenn wir wenigstens eine Taschenlampe hätten, aber so…«
»Ihr habt doch Feuerzeuge«, sagte Janina.
»Wenn wir gehen, löscht der Windzug die Flammen.«
»Dann bleiben wir hier stehen.«
Stefan Krüger holte sein Feuerzeug aus der Tasche. Jochen hatte sich auf dem Gang durch die
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