Das Prinzip Uli Hoeneß
Konsequenzen es hat, wenn der Kampf um Informationen und Sensationen von niemandem mehr gesteuert werden kann. Im Laufe einer immer mehr außer Kontrolle geratenen Entwicklung etablierte sich in München während der neunziger Jahre ein Komödienstadl bzw. eine Daily Soap, an der sich ganz Fußballdeutschland erfreute – mit den Hauptdarstellern Zorn-Uli, Killer-Kalle und Alle-Tage-anderes-wissens-Franz, mit wechselnden Gaststars wie Strahle-Klinsi, Dampf-Lothar und Stinke-Effe sowie mit famosen Nebendarstellern wie dem Sprüchemacher Otto der Weise und dem lustigen Kasper Trap. Wutanfälle, Intrigen, Krisen, Skandale und Katastrophen kamen da zur Aufführung, Charakterschwächen wie Größenwahn, Skrupellosigkeit und snobistisch-dümmliche Arroganz konkurrierten auf der Bühne der Eitelkeiten und wurden in immer neuen Wendungen täglich frisch gemixt zu einer fast schon bewundernswerten Gesamtdarstellung menschlicher Abgründe. Der FC Bayern on stage – das wurde zur deutschen Variante der »comédie humaine« im Medienzeitalter, eine Dauervorstellung quasi ohne Schließzeiten, gefüttert mit Emotionstheater in Nahaufnahme und verbalem Brechdurchfall in der Endlosschleife – nichts, selbst »Big Brother« oder das »Dschungelcamp«, würde es mit dem Reality-TV »Säbener Straße« an Popularität aufnehmen können.
Die Dinge waren aus dem Ruder gelaufen. Und die Frage lautete: Musste man den FC Bayern als ein Opfer der Medien bedauern, oder musste man ihn nicht vielmehr als Täter sehen, der alles selbst provoziert hatte? »Ich habe ja diese Branche in diese Richtung gepusht«, gab ein zerknirschter Hoeneß selbstkritisch zu, nachdem ihm das Geschäft mit der Sensationslust zu viel geworden war. Kaum einer hatte die mediale Vermarktung des Fußballs so forciert wie der Bayern-Manager, und so durfte er sich eigentlich nicht wundern über den Medienrummel. Wundern durfte er sich nicht, aber genervt war er trotzdem, der Medienprofi, das sei alles nicht mehr seine Welt, meinte er, manchmal würde er »einige Dinge gerne zurückdrehen«. Aber was konnte man machen, wie sollte eine Schadensbegrenzung aussehen? »Die Geister, die du riefst, wirst du so schnell nicht mehr los«, hatte er wiederholt feststellen müssen. »Sein Talent, den Fußball zu vermarkten, lässt ihn als Zauberlehrling erscheinen«, urteilte die »SZ«. »Könnte es sein, dass da ein Zauberlehrling den Besen nicht mehr in die Ecke bringt?«
Der »FC Hollywood« außer Rand und Band
Die Eskalation des Medienhypes beim FC Bayern hat einen Namen: »FC Hollywood«. Alles begann mit zwei Rückkehrern: dem von den Medien umschwärmten »Bild«-Kolumnisten und Fernsehkommentator Franz Beckenbauer und dem so redefreudigen wie divenhaften Lothar Matthäus, der zwischen 1988 und 1992 in der mondänen Opernstadt Mailand zum Weltstar aufgestiegen war.
Beckenbauer inszenierte zunächst an der Seite von Rummenigge als Vizepräsident und später als Präsident in aller Öffentlichkeit eine verwirrende Regentschaft kaiserlichen Wankelmuts, der die permanente Hintergrundmusik abgab für die Auftritte der Hauptdarsteller. Die größte Rolle mit dem meisten Text sollte der als »Kaiserlein« verspottete Beckenbauer-Liebling Lothar Matthäus übernehmen, seines Zeichens Weltmeister, Weltfußballer und leider auch Weltrekordler im Dampfplaudern ohne Punkt und Komma. Wie Beckenbauer hatte der aus der Schuhstadt Herzogenaurach stammende Matthäus ausgezeichnete Kontakte zu den (Boulevard-)Medien, und genau dies war Uli Hoeneß ein Dorn im Auge. Als er in den ersten Wochen fast nur mit seinem fränkischen Mundwerk statt mit filigraner Fußarbeit auf sich aufmerksam gemacht hatte, intervenierte der Manager mit dem so eleganten wie süffisanten Satz: »Lothar ist unser Pressesprecher, aber auf dem Platz nur einer von vielen.« Er glaube wohl, sich nicht mehr anstrengen zu müssen, weil er so gute Kontakte zu den Journalisten habe. »Der Tag kommt noch, wo er am Freitagabend die Note vom Samstag hat«, scherzte er giftig über Matthäus’ Dauerversuche, sich bei der schreibenden Zunft Liebkind zu machen.
Der Konter kam umgehend: »Vielleicht steht er zu wenig in der Zeitung, seit Beckenbauer und Rummenigge da sind und er weniger zu sagen hat«, höhnte der gescholtene Matthäus und stellte in der dritten Person die Gegenthese auf: »Nicht ein Lothar Matthäus bringt Unruhe rein, sondern Uli Hoeneß! Durch seine dummen Aussagen.« Selbst ein Uli Hoeneß könne sich
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