Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
sich nicht Moridins Unzufriedenheit auszusetzen. Aus dem gleichen Grund würde Shiaine sie mit ausgesprochen harter Hand behandeln. Man konnte nie wissen, was einer der Auserwählten erfuhr und möglicherweise missverstand. Sie selbst war zwar der Meinung, ihr eigenes Versagen tief genug begraben zu haben, aber sie würde kein Risiko eingehen. »Wenn sie wieder die Macht lenken kann, wird sie nicht die ganze Zeit als Dienstmagd arbeiten müssen, Marillin.« Außerdem hatte Moridin ihr gesagt, dass sie sie töten konnte, wenn sie es wollte. Aber das konnte man immer noch tun, wenn sie zu lästig wurde. Er hatte gesagt, sie könnte beide Schwestern töten, wenn sie wollte.
»Das mag schon sein«, bemerkte Marillin finster. Sie warf Falion einen Seitenblick zu und verzog das Gesicht. »Nun, Moghedien hat mir befohlen, Euch jede Hilfe anzubieten, zu der ich imstande bin, aber ich sage Euch gleich, dass ich den Königlichen Palast nicht betreten werde. Für meinen Geschmack halten sich in der Stadt viel zu viele Schwestern auf, aber der Palast ist obendrein auch noch mit Wilden voll gestopft. Ich würde keine zehn Schritte weit kommen, ohne dass jemand meine Anwesenheit bemerkt.«
Seufzend lehnte sich Shiaine zurück, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. Warum glaubten die Leute eigentlich immer, man wüsste nicht genauso viel wie sie? Die Welt war voller Narren! »Moghedien hat Euch befohlen, mir zu gehorchen, Marillin. Ich weiß das, weil Moridin es mir gesagt hat. Er hat es zwar nicht direkt so ausgedrückt, aber ich glaube, dass Moghedien springt, wenn er mit dem Finger schnippt.« Auf diese Weise über die Auserwählten zu sprechen war gefährlich, aber sie musste für klare Verhältnisse sorgen. »Wollt Ihr mir noch einmal sagen, was Ihr alles nicht tun werdet?«
Die schmalgesichtige Aes Sedai befeuchtete sich die Lippen und warf Falion noch rasch einen Blick zu. Fürchtete die Frau, sie würde so enden? In Wahrheit hätte Shiaine Falion auf der Stelle gegen eine richtige Dienstmagd eingetauscht. Nun, solange sie ihre anderen Dienste beibehielt. Vermutlich würden sie beide sterben müssen, wenn das hier vorbei war. Shiaine mochte keine losen Enden.
»Das war keine Lüge«, sagte Marillin gedehnt. »Ich würde keine zehn Schritte weit kommen. Aber es befindet sich bereits eine Frau im Palast. Sie kann tun, was Ihr wollt. Allerdings könnte es etwas dauern, mit ihr in Verbindung zu treten.«
»Seht nur zu, dass es nicht zu lange dauert, Marillin.« So. Also gehörte eine der Schwestern im Palast zur Schwarzen Ajah? Um das zu tun, was Shiaine brauchte, würde es eine Aes Sedai sein müssen, nicht bloß eine Schattenfreundin.
Die Tür öffnete sich, und Murellin schaute fragend hinein; seine muskulöse Gestalt füllte die Tür fast aus. Hinter ihm konnte sie einen weiteren Mann ausmachen. Nach ihrem Nicken trat Murellin zur Seite, bedeutete Daved Hanlon einzutreten und schloss die Tür hinter ihm. Hanlon war in einen dunklen Umhang gehüllt, aber er ließ eine Hand zwischen den Falten hervorschießen, um Falions Hinterteil durch ihr Kleid hindurchzutätscheln. Sie starrte ihn verbittert an, entzog sich ihm aber nicht. Hanlon war Teil ihrer Bestrafung. Allerdings verspürte Shiaine keine Lust, ihm dabei zuzusehen, wie er die Frau betatschte.
»Macht das später«, befahl sie. »Hat es geklappt?«
Sein axtgleiches Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Es hat sich natürlich genau so abgespielt, wie ich es geplant habe.« Er warf die eine Seite seines dunklen Umhangs über die Schulter und enthüllte die goldenen Abzeichen seines Ranges auf seinem roten Mantel. »Ihr sprecht mit dem Hauptmann der Königlichen Leibwache.«
KAPITEL 11
Bedeutsame Ideen
O hne einen Blick zu verschwenden, trat Rand durch das Wegetor in einen großen, dunklen Raum. Die Anstrengung, Saidin zu bezwingen und das Gewebe zusammenzuhalten, ließ ihn schwanken; er verspürte einen Brechreiz, den Drang, sich zusammenzukrümmen und seinen ganzen Mageninhalt auszuspeien. Allein sich aufrecht zu halten war eine große Anstrengung. Durch die Spalten in den Läden der kleinen Fenster hoch oben an der einen Wand drang etwas Licht hindurch; solange er die Eine Macht hielt, reichte es gerade aus, um etwas sehen zu können. Der Raum war voller Möbel und mit großen Tüchern abgedeckter Gegenstände, dazwischen standen große Fässer von der Art, in denen man Geschirr verstaute, sowie Truhen in allen Größen und Formen,
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