Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
Richtung steuern, in der ich sie haben will.«
Brutale Finger schienen sich in Shalons Kopfhaut zu graben. Sie hatte vorgehabt, Cadsuane so wenig zu erzählen, wie es nur eben ging, und das auch nur so selten wie möglich, bis sie eine Gelegenheit gefunden hatte, sich von ihr zu befreien. Wenn sie jeden Tag mit der Aes Sedai sprechen und – und was noch schlimmer war – ihr ins Gesicht lügen musste, würde die Frau mehr aus ihr herausbekommen, als sie wollte. Mehr, als Harine wollte. Viel mehr. Das war so sicher wie der Sonnenaufgang. »Verzeiht mir, Herrin der Wogen«, sagte sie mit jedem Funken an Ehrerbietung, den sie aufzubringen imstande war, »aber falls ich das sagen darf, werde ich …«
Sie unterbrach sich, als Sarene Nemdahl herangeritten kam und vor ihnen das Pferd zügelte. Die letzten Aes Sedai und Behüter waren durch das Tor gekommen und Cadsuane hatte es verschwinden lassen. Corele, eine dünne, aber hübsche Frau, lachte und warf ihre schwarze Haarmähne zurück, während sie sich mit Kumira unterhielt. Merise, eine hochgewachsene Frau, deren Augen von einem noch helleren Blau waren als Kumiras, und einem mehr als hübschen Gesicht, das streng genug war, um selbst Harine aufmerken zu lassen, dirigierte mit scharfen Gesten die vier Männer, die sich um die Packpferde kümmerten. Alle anderen ergriffen die Zügel. Anscheinend machten sich alle bereit, die Lichtung zu verlassen.
Sarene war wunderschön, allerdings minderte der fehlende Schmuck ihr Aussehen genauso wie das schlichte weiße Kleid, das sie trug. Die Küstengebundenen schienen überhaupt keinen Sinn für Farben zu haben. Sogar ihr dunkler Umhang war mit weißem Fell gesäumt. »Herrin der Wogen, Cadsuane, sie hat mich gebeten … mir befohlen, Eure Helferin zu sein«, sagte sie und neigte ehrerbietig den Kopf. »Ich werde Eure Fragen beantworten, sofern ich das kann, und Euch bei den Bräuchen helfen, so gut ich mich in ihnen auskenne. Mir ist bewusst, dass Euch meine Anwesenheit möglicherweise Unbehagen bereitet, aber wenn Cadsuane befiehlt, müssen wir gehorchen.«
Shalon lächelte. Sie bezweifelte, dass die Aes Sedai wusste, dass auf einem Schiff eine Helferin das darstellte, was bei den Küstengebundenen eine Dienerin war. Harine würde vermutlich lachen und wissen wollen, ob die Aes Sedai Leinentücher vernünftig waschen konnte. Es würde erfreulich sein, sie in guter Stimmung zu sehen.
Doch statt zu lachen versteifte sich Harine auf ihrem Sattel, als wäre ihr Rückgrat zu einem Hauptmast geworden, und die Augen quollen hervor. »Ich verspüre kein Unbehagen!«, fauchte sie. »Ich ziehe es nur vor … Fragen jemand anderem zu stellen … Cadsuane. Ja. Cadsuane. Und ich muss weder ihr noch sonst jemandem gehorchen! Niemandem! Außer der Herrin der Schiffe!« Shalon runzelte die Stirn; es sah ihrer Schwester nicht ähnlich, so durcheinander zu klingen. Harine holte tief Luft und sprach dann in energischerem Tonfall weiter, obwohl es sich in gewisser Weise genauso seltsam wie zuvor anhörte. »Ich spreche für die Herrin der Schiffe des Atha’an Miere und verlange den mir zustehenden Respekt! Ich verlange ihn, habt Ihr das verstanden? Ja, ist das klar?«
»Ich kann sie bitten, jemand anderen zu bestimmen«, sagte Sarene zweifelnd, als würde sie nicht erwarten, dass ihre Bitte etwas ändern würde. »Ihr müsst wissen, dass sie mir an jenem Tag ganz genaue Anweisungen gegeben hat. Aber ich hätte nicht meine Beherrschung verlieren sollen. Da habe ich versagt. Gefühle zerstören jegliche Vernunft.«
»Ich weiß, wie man Befehle befolgen muss«, knurrte Harine und duckte sich im Sattel zusammen. Sie sah aus, als wäre sie bereit, sich jeden Augenblick auf Sarene zu stürzen. »Ich heiße es gut, wenn Befehle befolgt werden!«, kreischte sie beinahe. »Allerdings kann man Befehle, die ausgeführt worden sind, auch wieder vergessen. Man muss sie nicht mehr erwähnen. Versteht Ihr mich?« Shalon starrte sie von der Seite an. Wovon sprach sie da? Welche Befehle hatte Sarene ausgeführt und warum wollte Harine, dass sie in Vergessenheit gerieten? Moad machte keine Anstrengungen, sein Stirnrunzeln zu verbergen. Dann wurde sich Harine seiner Aufmerksamkeit bewusst und ihre Miene verfinsterte sich.
Sarene schien es nicht zu bemerken. »Ich weiß nicht, wie man absichtlich etwas vergessen soll«, sagte sie langsam und legte die Stirn in Falten. »Ich nehme an, Ihr meint, dass wir so tun sollten. Ist das richtig?« Die mit Perlen
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