Das Raetsel von Flatey
zum Angriff,
und die Bewohner der Stadt mussten sich jetzt sowohl gegen das
Feuer als auch gegen den heftigen Ansturm der Feinde
wehren.
Die Antwort ist Harald, und der erste
Buchstabe ist H.«
Kjartan sagte: »Hier schreibt
Lund Nordbrigt.«
»Dann ist die Antwort entweder
N oder H.«
Einundfünfzig
Nachmittags um vier legten Guðjón und Högni letzte
Hand an den Sarg für Björn Snorri Thorvald. Er stand
aufgebockt in der kleinen Schreinerwerkstatt hinter dem Rathof und
wartete darauf, ins Arzthaus gebracht zu werden. Die Zimmerleute
begutachteten das Stück, während sie sich die Säge-
und Hobelspäne abklopften. Högni nahm eine Prise
Schnupftabak, und Guðjón zündete sich eine
Zigarette an. Der schlichte Sarg bestand aus glatt gehobelten,
unlackierten Kiefernbrettern, und gemäß den
Wünschen des Verstorbenen war auf dem Deckel ein Messingkreuz
angebracht worden. Er hatte sich schon vor vielen Monaten mit
Guðjón über den Auftrag geeinigt. Eigentlich hatte
Björn Snorri gewollt, dass der Schreiner sich
unverzüglich an die Arbeit machte, aber das kam für
Guðjón nicht in Frage. Er konnte ganz anständige
Särge für die Gemeindemitglieder zimmern, wenn es
erforderlich war. Aber es kam nicht in Frage, mit der Arbeit daran
zu beginnen, bevor der Betreffende das Zeitliche gesegnet hatte.
Alles andere war unpassend und zeugte von Geringschätzung der
Vorsehung.
Es regnete immer noch, aber es war
windstill und mild, als Kormákur Kolk in vollem Ornat mit
seinem Handwagen eintraf. Die drei Männer trugen den Sarg aus
der Werkstatt und stellten ihn auf den Wagen. Dann gingen sie zum
Ende der Insel, den Wagen hinter sich herziehend.
Vor dem Arzthaus standen der
Kriminalbeamte Lúkas und ein Matrose vom
Küstenwachboot.
»Jóhanna steht bestimmt
unter Hausarrest«, flüsterte Högni
traurig.
Sie trugen den Sarg ins Haus und in
das Zimmer, in dem Björn Snorri gewaschen und in einen
weißen Überwurf gekleidet auf dem Krankenbett lag. Ein
weißes Leinenband war um den Kopf gewickelt worden, um den
Mund zu schließen und die Kiefer zusammenzuhalten. Drei
weiße Kerzen brannten auf einem Tisch neben dem Bett.
Jóhanna Thorvald und Pastor Hannes standen im Zimmer und
nahmen sie in Empfang.
Sie stellten den Sarg auf den Boden,
und Jóhanna legte ein Kopfkissen und ein weißes
Oberbett bereit. Die drei Männer halfen ihr dabei, den
ausgemergelten Leichnam hochzuheben und in den Sarg zu
legen.
Pastor Hannes trat vor und begann mit
der Aussegnung, dann beteten sie das Vaterunser, und die drei
sangen ein Lied. Zum Schluss schlugen alle das Zeichen des Kreuzes
über dem Toten, bevor das Bett über ihn gebreitet und der
Deckel geschlossen wurde. Guðjón zog einen Hammer hervor
und nagelte den Deckel mit ein paar Nägeln
fest.
Högni und Guðjón
trugen den Sarg aus dem Haus und stellten ihn auf den Handwagen.
Kormákur Kolk schob den Unterkiefer vor und zog mit dem
Wagen los. Jóhanna und Pastor Hannes gingen hinterdrein,
dann Högni und Guðjón, und ein ganzes Stück
dahinter bildeten Lúkas und einer der Matrosen den
Schluss.
Unterwegs dachte Högni über
den Toten nach. Vater und Tochter hatten rund zwei Jahre lang in
dem Haus gewohnt. Noch im letzten Sommer war Björn Snorri
einigermaßen gut zu Fuß gewesen, hatte
Spaziergänge auf der Insel unternommen und sich mit den Leuten
unterhalten. Alle wussten, dass er nach Flatey gekommen war, um zu
sterben, und deswegen waren die Inselbewohner ihm gegenüber
irgendwie befangen. Aber es konnte nicht verborgen bleiben, dass
der Mann hochintelligent und überaus belesen war. Und immer
noch wollte er dazulernen. Er unterhielt sich mit den Leuten
über ihre tägliche Arbeit und notierte sich alles in
einem kleinen Heft. Mit der Zeit wurden die Tage, an denen er nach
draußen ging, immer seltener, bis er schließlich das
Haus gar nicht mehr verließ, weil er bettlägerig
geworden war. Er lag im Krankenzimmer des Arzthauses, und jetzt
besuchten die Inselbewohner ihn, um ihm Geschichten zu
erzählen. Es waren vor allem Katastrophen auf See und
Schiffsunglücke früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte, an
die sich die Leute erinnerten, und Björn Snorri hörte
sich das alles mit einem Lächeln auf den Lippen und
Dankbarkeit in den Augen an. Jetzt dachte Högni daran, ob
diese Geschichten irgendwo niedergeschrieben worden waren.
Wahrscheinlich wurden die Ereignisse selbst kurz und knapp in den
Annalen erwähnt, aber es war nicht sicher, ob diese
Erzählungen, die
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