Das Raetsel von Flatey
und sagte:
»Und jetzt bist du also in polizeilicher Mission
hier?«
Kjartan schüttelte den Kopf.
»Das war nicht mein Wunsch. Ich rechnete mit ganz anderen
Aufgaben, als ich diese Vertretung für den Sommer
übernahm.«
»Wie war dir zumute, als du
Bryngeir hier getroffen hast?«
»Ich hatte keine Ahnung, wer
dieser Journalist war, bevor ich Bryngeirs Leiche auf dem Friedhof
sah. Ich war entsetzt.«
»Wo warst du am
Sonntagabend?«
»Ich habe einen Spaziergang in
den Nordteil der Insel gemacht und schaute auf dem Rückweg in
der Bibliothek herein. Jóhanna war
dort.«
»Wusstest du, dass sie und
Einar verlobt waren?«
»Damals wusste ich es nicht,
aber jetzt weiß ich es.«
»Wann hast du es
erfahren?«
»Sie sagte es mir in der Nacht
während unseres langen Gesprächs.«
»Hat sie dir auch gesagt, dass
Bryngeir ihr gegenüber zugegeben hat, dass er die Schuld an
Einars Tod trug?«
»Ja.«
»Wie war deine Reaktion
darauf?«
»Ich war sehr froh, das zu
hören.«
»Und
warum?«
»Obwohl ich immer daran
geglaubt habe, dass ich keine Schuld hatte, war es gut, es
bestätigt zu bekommen. Ich habe mich die ganzen Jahre elend
genug gefühlt.«
»Vielleicht hast du dich an
Bryngeir rächen wollen?«
»Ich hatte vollauf damit zu
tun, mit mir selber ins Reine zu kommen und mir ein neues Leben
aufzubauen, und auf dieses Leben sollte Bryngeir keinen Einfluss
haben.«
»Aber er hat Einfluss
gehabt?«
»Ja, diese Szene auf dem
Friedhof, die war ganz einfach gespenstisch. Ich glaube, ich habe
gestern Morgen einen Schock erlitten, als ich ihn dort liegen
sah.«
»Geht es dir heute
besser?«
»Ja. Ich bin gestern am
späten Nachmittag zu Jóhanna gegangen und habe sie um
Hilfe gebeten. Sie gab mir ein Beruhigungsmittel, und ich habe mich
wieder gefangen.«
»Wie günstig für
dich, dass hier auf der Insel eine Psychiaterin praktiziert.«
Lúkas war wieder eingetroffen und mischte sich in das
Gespräch ein. »Meines Erachtens sind aber all diese
Zufälle reichlich merkwürdig«, fuhr er fort.
»Da kommt ein ziemlich anrüchiger Zeitungsfritze und
Trunkenbold aus Reykjavík hierher. Über einen Tag lang
treibt er sich hier herum, belästigt alle und bereitet einigen
schweren Verdruss. Aber ihr zwei beiden habt nicht die geringste
Ahnung gehabt, dass er hier war! Klingt das nicht ziemlich
unglaubwürdig?«
»Ich wusste von diesem
Reporter, aber ich wusste nicht, wer er war. Im Nachhinein denke
ich auch, dass er versucht hat, mir aus dem Weg zu gehen, und das
Gleiche gilt vermutlich für
Jóhanna.«
»Ja, selbstverständlich
hat er das gemacht, aber trotzdem beschlossen, sie am Sonntagabend
zu besuchen«, sagte Lúkas.
Der Matrose vom Küstenwachboot
streckte den Kopf durch die Tür und reichte Ingimundur einen
Umschlag.
Kjartan antwortete: »Wir waren
beide an diesem Abend in der Bibliothek. Er hat dann vor
verschlossenen Türen gestanden.«
»Aber was, wenn er euch beide
angetroffen hätte? Es gibt keine weiteren Zeugen für
dieses Zusammentreffen, und du hast ein Messer in der Tasche, das
du dir extra zugelegt hast. Wäre es nicht verlockend gewesen,
endlich die Rechnung mit diesem Ekel zu begleichen?«
Kjartan schrak zusammen und
befühlte seine Hosentasche.
»Du hast dir ein Taschenmesser
in diesem Kramladen gekauft, nicht wahr?«
»Ja, aber ich glaube, ich habe
es verloren. Da ist nämlich ein Loch in der
Tasche.«
»Aha. Ich bin aber der Meinung,
dass es sich auch folgendermaßen zugetragen haben
könnte: Bryngeir kam, um Jóhanna zu besuchen. Das
Arzthaus war nicht verschlossen, und er schaute herein, als niemand
auf sein Klopfen antwortete. Jóhanna war ja in der
Bibliothek und redete mit dir. Bryngeir war natürlich ein
Lump, und er nutzte die Gelegenheit, um sich mal im Arzthaus
umzusehen, trotz der Tatsache, dass dort eine Leiche aufgebahrt
war. Und sieh mal einer an, da hat er dann die Papiere von Gaston
Lund gefunden, die Jóhanna beiseite gelegt hatte, nachdem
sie im letzten Herbst den Kerl schlafend nach Ketilsey gebracht
hatte. Irgendwas hat nämlich Bryngeir laut den Zeugenaussagen
auf die richtige Spur im Fall Lund gebracht. Also. Dann spaziert
Bryngeir in den Ort zurück und beschließt, über den
Friedhof zu gehen. Tja, und was glaubt ihr wohl, hat er da nicht
euch zwei beide getroffen, und du hattest da wohl auch das
Taschenmesser noch nicht verloren? Ihr habt ihm einen guten Abend
gewünscht, ihn dann zu Fall gebracht und mit dem Gesicht ins
Gras gedrückt, um die Schreie
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