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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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Pfad
führte oben auf den Klippen entlang, die ins Meer
hinausragten, und am Klippenrand sah er einige Papageitaucher. Als
er weiterging, gelangte er bald zu einem kleinen Sandstrand. Das
Dorf war hinter den Klippen verschwunden, aber jenseits des Sunds
konnte man auf den benachbarten Inseln die Häuser in der
Abendsonne liegen sehen. Jenseits davon verdunkelten im Osten
schwere Regenwolken den Himmel.  

    Kjartan genoss eine Weile die
Aussicht und machte dann kehrt, um auf der anderen Seite der Insel
zurückzugehen. Allenthalben flatterten Eiderenten von ihren
Nestern rechts und links des Pfades auf, und die
Küstenseeschwalben stießen im Sturzflug auf ihn
herunter. Er riss einen vertrockneten Ampferstängel vom
vorigen Jahr ab und schwenkte ihn über dem Kopf, als er durch
die dichte Brutkolonie hindurchmusste. Es war Ebbe, und auf den
Schlickflächen zwischen den kleineren Inseln südlich von
Flatey waren Watvögel, die er nicht kannte, in großen
Trupps auf Nahrungssuche. Ein Schaf mit zwei Lämmern nutzte
die Gelegenheit und watete über die Untiefen zu einer
grasbewachsenen Insel jenseits des schmalen Sunds hinüber. Er
wäre auch gern auf die kleinen Inseln im Süden von Flatey
hinübergegangen, beschloss aber, es auf später zu
verschieben. Es war schon spät, und es sah nach Regen
aus.
    Als Kjartan am Ufer nicht weit von
der Kirche entlangging, bemerkte er ein schwaches Licht in den
Fenstern der Bibliothek. Er wurde neugierig und beschloss,
hinzugehen und nachzusehen, wer dort war. Falls es jemand war, mit
dem er nicht unbedingt sprechen wollte, konnte er so tun, als habe
er nur nachsehen wollen, ob jemand vergessen hatte, das Licht zu
löschen, und sich dann zurückziehen.
    Er ging zum Haus hinauf und klopfte
an der Tür.
    »Komm herein«, sagte eine
weibliche Stimme drinnen.
    Die Tür quietschte, als er sie
öffnete und hineintrat.
    Amtsärztin Jóhanna
saß am Glasschrank und hatte die Munksgaard-Ausgabe
aufgeschlagen. Über ihr leuchtete an der Wand eine
Öllampe. Ein kleiner Gasofen sorgte dafür, dass es
angenehm warm war.
    Kjartan blieb zögernd in der
Tür stehen und sagte dann: »Ich war heute Morgen in der
Kirche und habe gehört, dass dein Vater gestorben ist. Mein
aufrichtiges Beileid.«
    Sie antwortete nicht gleich, aber
dann sagte sie: »Ich danke dir. Mein Vater war allerdings
schwer krank und hatte den Tod seit langem
herbeigesehnt.«
    »Trotzdem ist es hart, seinen
Vater zu verlieren«, erwiderte Kjartan.
    »Ja, das ist richtig. Da ist
eine gewisse Leere, und eigentlich ist es schwieriger, als ich mir
vorgestellt hatte nach allem, was vorangegangen ist. Ich bin heute
Abend hierher gekommen, um mir die Bücher anzuschauen, die er
am meisten geschätzt hat.«
    Kjartan blickte sich um. »Das
Haus ist nicht groß«, sagte er.
    »Nein, aber es erfüllt
seinen Zweck seit 130 Jahren. Das Haus ist exakt drei Meter vierzig
breit und vier Meter siebzig lang, hat man mir
gesagt.«
    Sie fing wieder an, in dem Buch zu
blättern.
    »Du liest in
Flateyjarbók?«, fragte er.
    »Na ja, ich blättere so
ein bisschen, um alte Erinnerungen aufzufrischen. Mein Vater kannte
das Original dieses Buchs besser als die meisten anderen. Die Leute
hier in Flatey passen gut darauf auf, obwohl es nur eine
unvollkommene Kopie ist. Sie bewahren es hier unter Glas auf, aber
ich habe die Erlaubnis bekommen, darin zu
blättern.«
    Kjartan trat näher, betrachtete
das Buch und fragte: »Kannst du diese Schrift
lesen?«
    »Ja, das meiste kann ich
lesen.«
    »Und wie hast du das
gelernt?«
    »Mein Vater hat es mir
beigebracht, indirekt.«
    »Was meinst du mit
indirekt?«
    »Manch einer findet diese
Geschichte bestimmt merkwürdig, aber für mich war das
damals ganz selbstverständlich. Ich muss vorausschicken, dass
meine Mutter starb, als ich sechs Jahre alt war. Danach wuchs ich
eigentlich auf, indem ich ständig auf Reisen mit meinem Vater
war. Wir wohnten in Kopenhagen, und Vati forschte im
Handschrifteninstitut und in der Königlichen Bibliothek. Er
hatte gerade seine Habilitation hinter sich, als meine Mutter Krebs
bekam, und dann hat sie nur noch zwei Jahre leben dürfen. Vati
und ich verstanden uns sehr gut, und nach ihrem Tod waren wir
immerzu beisammen. Vati war sehr zurückhaltend und hatte
eigentlich nur dann Kontakt zu anderen Menschen, wenn es von Berufs
wegen erforderlich war. Deswegen hatten wir nur wenige Freunde. Ich
habe schnell herausgefunden, dass ich meinen Vater praktisch
überallhin begleiten durfte,

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