Das Raetsel von Flatey
Linkshänder oder
Rechtshänder gewesen war und anderes mehr.
Dagbjartur traf den Gerichtsmediziner
Magnús Hansen in seinem Labor. Zwei Arbeitstische standen
mitten im Raum, und auf beiden lag etwas, was menschliche Umrisse
hatte. Dagbjartur war froh, dass die eigentliche Autopsie beendet
zu sein schien. Er war schon viele Male dort gewesen, und es war
alles andere als erstrebenswert, die obduzierten Objekte betrachten
zu müssen, also versuchte er nach Möglichkeit, es zu
vermeiden.
»Die Aufträge von euch
strömen ja nur so herein«, sagte Magnús. Er war
sehr groß, ging auf die siebzig zu und hatte ein
grobknochiges Gesicht mit einer königlichen Adlernase. Er
strahlte Autorität aus und überragte Dagbjartur um
einiges. Er trug einen weißen langen Kittel, eine
Gummischürze und eine weiße Kappe. Der Mundschutz
baumelte ihm lose um den Hals. Auf der Nasenspitze thronte eine
Brille, durch die er aber nie zu blicken schien.
Dagbjartur nickte und trat einen
Schritt zurück. Er hatte einen mit Furcht gemischten Respekt
vor Magnús, der bekannt dafür war, Polizisten, die er
zu aufdringlich fand, hochzunehmen.
»Und, hast du etwas für
uns?«, fragte er beflissen.
Magnús betrachtete ihn
über die Brille hinweg und kam zu dem Ergebnis, dass dieser
einfältige Mensch es nicht wert war, sich über ihn lustig
zu machen. Er sagte: »Über den Ersteren lässt sich
wenig sagen. Sein Zustand lässt eigentlich keine
Rückschlüsse mehr in Bezug auf die Todesursache zu.
Eigentlich sind da nur noch die Knochen und ein paar Hautfetzen,
die von der Kleidung zusammengehalten wurden. Ein paar
eingeschrumpfte Muskeln und weiches Gewebe außen an den
Knochen, aber natürlich nur da, wo die Möwen nicht an ihn
herangekommen sind. Da sind nur noch Knochen. Von den inneren
Organen ist praktisch nichts übrig außer Reste vom
Herzen und eine vergrößerte Prostata. Das sagt mir wenig
über die Todesursache, aber der Mann hat sicher Probleme beim
Wasserlassen gehabt. Sämtliche Knochen sind heil, also hat er
keine Wunden gehabt, die bis auf die Knochen gingen. Ich habe
besonders den Schädel genau untersucht, und der scheint
völlig unbeschädigt zu sein. Deswegen ist dem Bericht der
Amtsärztin, in dem steht, dass der Mann erfroren ist, nichts
hinzuzufügen. Dann ist die Todesursache
höchstwahrscheinlich Unterkühlung, es sei denn, er habe
noch an einer anderen Krankheit gelitten, die die Oberhand gewonnen
hat, als seine Widerstandskräfte
nachließen.«
Magnús verstummte und blickte
wieder über die Brille auf Dagbjartur.
»Und der andere?«, fragte
Dagbjartur, als er fand, dass er etwas sagen
sollte.
»Der andere, ja, das ist eine
ganz andere Geschichte«, sagte Magnús und schien
richtig aufzuleben. Er hielt sich seine Papiere vor die Nase und
schaute dabei sogar durch die Brille.
»Ein äußerst
interessanter Fall«, erklärte er. »Ich habe mir
zuerst die großen Wunden auf dem Rücken der Leiche
angeschaut.«
Er las vor: »Paravertrebral,
parallel zum Rückgrat, beidseitig, bilateral, sind
Schnittwunden, die die Unterhaut, subcutis, und die Rippen, costae,
durchtrennt haben, von der dritten bis zur elften rechts und von
der dritten bis zur zehnten links, direkt am Ansatz zur columna
vertebralis.«
»Zur
was?«
»Zur
Wirbelsäule.«
»Ach
so.«
»Das wurde links mit zwei
kräftigen Messerschnitten durchgeführt und drei rechts.
Eigentlich sollte man das eher Hiebe nennen als Schnitte, denn es
bedarf keiner geringen Kräfte, um die Rippen so zu
durchtrennen. Der Täter ist vermutlich Rechtshänder
gewesen und hat die Waffe bestimmt mit beiden Händen gehalten,
wahrscheinlich ein sehr großes und sehr scharfes Messer,
einen Säbel oder vielleicht sogar ein Beil. Anschließend
wurden die Lungen durch die Öffnungen herausgezogen. An ihnen
befinden sich flache Kerbspuren, vermutlich verursacht durch die
Rippenenden. Solche Kerben gibt es auch an den Arterien, auf die
gleiche Weise zustande gekommen.«
Magnús verstummte und las
stumm weiter.
»Er ist wohl auf der Stelle tot
gewesen?«, sagte Dagbjartur.
Magnús blickte über seine
Brille. »Was glaubst du?«
»Ist doch wahrscheinlich, denke
ich.«
»Ja, wahrscheinlich wäre
er ziemlich bald gestorben, wenn er nicht schon längst tot
gewesen wäre.«
»Was?«
»Selbst mit minimalem
Scharfsinn hätte man das bereits am Tatort feststellen
können, aber von so etwas kann ja bei deiner Dienststelle wohl
kaum die Rede sein.«
Dagbjartur schwieg. Magnús
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