Das Regenmaedchen
die
Oberwieser meinte, er, Herz, solle den Kleinen doch in Ruhe lassen, die Jugend
hätte nun einmal das Vorrecht, alles auszuprobieren, und als sie die Betonung
auf alles legte und dabei diesen ironischen
Blick bekam, den sie so meisterhaft beherrschte, und als sie dann auch noch
meinte, die Zeiten, wo Männer ihre Frauen Kind genannt
hätten, noch dazu in diesem besonderen Tonfall »Ach,
Kind!«, seien halt endgültig vorbei, da war er, Arthur, kurz davor
gewesen, alles hinzuschmeißen.
Aber gerade noch rechtzeitig hatte Herz ihm fest die Hand
auf die Schulter gelegt. »Denk nicht dran, Junge«, hatte er gesagt. »Du bist
schon richtig hier, und glaub mir, es gibt Frauen, die unser unstetes Leben
aushalten. Und es sind nicht die Schlechtesten.«
Scheiße, dachte Arthur und schüttelte den Kopf. Da steh
ich gerade vor der Leiche dieses Mädchens, und was mache ich? Suhle mich in
meinem eigenen Leid! Immerhin lebe ich noch!
Er kickte einen Stein über die Straße, der schlingerte und
schlingerte und knallte schließlich an den Gehsteigrand gegenüber und an einen
Fuß, der in einer Sandale steckte und auf die Fahrbahn stieg, um sie zu
überqueren. »Scheiße!«, stieß Arthur hervor und blickte hoch.
»Ich werd's überleben«, sagte Franza gleichmütig, kam auf
ihn zu und lächelte. »Hast du Trübsal geblasen?«
Er fühlte sich ertappt. »Nein«, sagte er. »Wie kommst du
darauf?«
Sie schaute ihn an mit einem dieser unergründlichen
Blicke, die er einfach nicht deuten konnte und die ihn so verlegen machten,
dass er nie wusste, wohin er schauen sollte. Sie zuckte die Schultern.
»Weibliche Intuition.«
Na super, dachte er, das wirft mich wieder nach vorn! Er
öffnete die Fahrertür und wollte sich ans Steuer setzen. »Ah!«, machte sie,
»Gsch!«, und schüttelte den Kopf.
Er verharrte und schaute sie verwirrt an. »Du musst den
Bus nehmen«, sagte sie. »Ich muss noch eine Zeugenaussage einholen.« Er zuckte
die Schultern. »Da kann ich doch mit.«
»Nein«, sagte sie ungerührt und stieg ein. »Kannst du
nicht. Grüß Herz von mir.« Dann brauste sie davon. Er blieb stehen, eine
Minute, zwei, vielleicht mehrere. »Weiber!«, sagte er gequält. Dann ging er zum
Bus, kickte Steine.
Port hatte die Zeitung auf den Tisch gelegt. Das tote
Mädchen leuchtete vom Titelblatt, sah aus, als ob es schliefe. Über dem Foto
prangte die Schlagzeile: Unbekannte bei Autounfall unter
mysteriösen Umständen ums Leben gekommen.
Im Artikel wurde der Unfallhergang beschrieben, auch die
Tatsache, dass die Unbekannte bereits zuvor verletzt gewesen und wohl aufgrund
dieser Verletzungen in verwirrtem Zustand auf die Fahrbahn getaumelt war. Die
Frage stand im Raum, wie diese Verletzungen wohl zustande gekommen waren, auch
das Wort Mord wurde nicht ausgespart. Den
Artikel beschloss die übliche Bitte um sachdienliche Hinweise, besonders die
Identität der Toten betreffend, eine Telefonnummer war angegeben.
In der Polizeidirektion waren eigene Leitungen
eingerichtet worden, um dem Ansturm der Anrufe, die unweigerlich kommen würden,
gewachsen zu sein, denn so war das immer. Viel Mist würde dabei sein, viel
Wichtigtuerei, aber irgendwann auch die wesentlichen Dinge, die musste man eben
herausfiltern aus dem Morast menschlicher Verdächtigungen und Abgründe. Alles
zu überprüfen würde eine Heidenarbeit sein, aber Franza und Herz wussten aus
Erfahrung, dass es sich irgendwann lohnte, weil ein wichtiges Puzzleteil zum
Vorschein kam. »Ich kenne die«, sagte Port, tippte auf das Bild in der Zeitung
und schaute Franza mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ob du's glaubst oder
nicht, aber ich kenne die.«
Als sie von Borger weggegangen war zum Auto, hatte er sie
angerufen. Er wollte, dass sie bei ihm vorbeikam, er müsse ihr etwas erzählen,
was nicht fürs Telefon geeignet sei. Er hatte eine Bestimmtheit gehabt, die
keinen Widerspruch duldete, also war sie Arthur losgeworden und in die
Langwiesner Hauptstraße gefahren.
Mit dieser Nachricht allerdings hatte sie nicht gerechnet.
Sie beugte sich vor und starrte ihn verblüfft an. »Was?«
Er wiederholte. »Ich kenne dieses Mädchen.«
»Und?«, fragte sie gespannt. »Wie heißt sie? Wer ist sie?«
Er schwieg einen kleinen, dramaturgisch wichtigen
Augenblick, legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und verzog seinen
Mund. »Das weiß ich nicht.« Franza merkte, wie die Spannung in ihrem Körper
zerfiel und Enttäuschung sich breitmachte. Scheiße, dachte sie. »Nicht
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