Das Regenwaldkomplott
Ohnmacht nahe. Jetzt, wo sie bei den anderen war, hatte sie die letzte Kraft verlassen, mit der sie noch den Flug nach Boa Vista überstanden hatte. »Wer hat sie so zugerichtet?«
»Wir … wir konnten es nicht verhindern, Pater«, stotterte Moaco. »Wir sind nur kleine Polizisten. Und auch Ribateio ist nur ein Tenente.«
»Wer?«
»Die Militärpolizisten. Tag und Nacht haben sie Schwester Margarida belästigt, sie hat sich eingeschlossen, da haben sie die Tür eingetreten. Die Ordenstracht haben sie ihr ausgezogen, ganz nackt haben sie sie an die Wand gestellt, gelacht und gebrüllt und ihr befohlen: ›Los, sing ein Lied! Sing, oder jeder von uns, einer nach dem anderen, wird –‹« Moaco seufzte tief, sein Gesicht war plötzlich voller Falten. »Und was hat Schwester Margarida getan? Sie hat sich niedergekniet und die Nationalhymne gesungen! Unsere Nationalhymne. Die Soldaten waren so verblüfft, daß sie fast strammstanden. Einzeln verließen sie das Zimmer, nur ich blieb zurück. Ich habe ihr dann das zerrissene Ordensgewand gegeben, damit sie sich bedecken konnte –«
»Weiter!« schnaubte Vincence. »Was kam dann noch?«
»Schwester Margarida ging zu dem Major. Tenente Ribateio begleitete sie. Und was sagte der Major? ›Raus mit dir! Willst dich beschweren, was? Raus, sage ich, oder ich bin als Comandante der erste, der dich vögelt!‹ Da hat Tenente Ribateio sie wieder hinausgeführt und sie mit auf unsere Polizeistation genommen. Dort hat sie auf einem Klappbett in der Ecke gelegen und geweint und gebetet und hat am ganzen Körper gezittert. Dann kam der Hubschrauber mit der Verstärkung, und Tenente Ribateio hat zu dem Piloten gesagt: ›Nimm sie mit nach Boa Vista. Moaco, du begleitest sie und lieferst sie bei Pater Vincence ab. Wirst ihn schon finden, irgendwo muß er ja sein. Sie hat einen Schock. Laß sie nicht allein.‹ Ja, und da bin ich nun und habe den Befehl ausgeführt. Schreiben Sie mir eine Bestätigung, Pater, sonst glaubt es der Tenente nicht.«
Vincence schrieb auf einen Zettel: »Schwester Margarida ist angekommen. Pater V.« und reichte ihn Moaco. Der bedankte sich und verließ darauf schnell das Haus.
Arlindo Beja war das Entsetzen deutlich vom Gesicht abzulesen. Niemand konnte behaupten, daß er eine empfindsame Seele besaß, aber was er jetzt mit anhören mußte, mußte auch er erst verkraften.
Die Sitzung der FUNAI war zunächst wie immer ziemlich langweilig verlaufen. Man las Statistiken durch, erörterte Pläne, die sich vor allem mit den neunzehn Schutzgebieten befaßten, die man den Yanomami zugewiesen hatte, damit sie mit den Goldsuchern und der Industrialisierung nicht in Berührung kommen sollten. Nun zeigte sich aber aufgrund der neuen Erschließungspläne, daß sich Gebiete überlappten, daß nach neuen geologischen Untersuchungen die Erz-, Kupfer-, Uran- und Gold-Minen bei optimaler Ausbeute, die man ja anstrebte, tief in die Reservate der Yanomami hineinreichten. Die neunzehn Enklaven der Indianer ließen sich in der bisherigen Form nicht aufrecht halten. Was war nun zu tun? Per Regierungsbeschluß waren die Indianergebiete unter Schutz gestellt worden.
Arlindo Beja starrte auf die große Karte, die man an der Stirnwand des Sitzungszimmers aufgespannt hatte. Sie zeigte das Gebiet von Roraima und, speziell hervorgehoben, die Reservate am Rio Urarioera im Norden, über die Wälder am Rio Parima mit den Goldgruben bis zum Rio Xeriuni im Süden Roraimas.
Absolutes Yanomami-Gebiet.
Aber die Karte reichte noch weiter, über die Grenzen Roraimas hinaus zum Rio Negro und zum Rio Iapurá mit zahllosen Flußläufen dazwischen und Regenwäldern, die völlig unbekanntes Land waren: das bis heute rätselhafte Amazonien, das Riesenland voller Geheimnisse, nicht einmal von Geologen betreten, sondern nur durch Luftaufnahmen bekannt und vermessen. Ein großer grüner Fleck auf den Landkarten, undurchdringlicher Urwald. Lebten dort Menschen? Sicherlich. Gab es dort Tiere? Sicherlich Millionen Arten. Und welche Pflanzen wuchsen unter dieser grünen, wogenden, geschlossenen Baumdecke? Die Biologen und Botaniker hoben die Schultern.
Wieder einmal hörte sich Beja die bekannten Tatsachen auf der Sitzung der FUNAI an. Aber dann, als der Redner mit einem langen Zeigestock über die Karte von Roraima und Amazonien fuhr, erstarrte er. Ungläubig folgte er der weiteren Ausführungen:
»Das größte Hindernis, die Bodenschätze unter dem Regenwald zu heben, sind die Indianer, in
Weitere Kostenlose Bücher