Das Reich der Katzen (German Edition)
Umweltkatastrophen nicht spurlos
vorübergegangen. Sein unaufhaltsames Sterben hatte bereits begonnen. Die
Baumrinden hingen schmutzig braun herab. In dem zarten, verletzlichen
Innenleben wimmelte unappetitliches Gewürm und fraß sich unaufhaltsam in das
Herz der Baumriesen, deren Wurzeln sich schon aus der Erde erhoben und bereits
das unterirdische Reich wie Ratten ein sinkendes Schiff verließen. Noch
trauriger sah es in den Kronen aus. Dort hingen leblose Zweige, an denen
vereinzelt Blätter baumelten, die bereits knochentrocken waren. Onisha spürte
ein unangenehmes Kribbeln über ihren Rücken ziehen, als sie die Bäume
betrachtete. In den einst hoheitsvollen Riesen war keinerlei Leben mehr.
Allenfalls ein letztes Dahindümpeln.
Onisha musste an einen Traum denken, dem sie bisher keine
Beachtung geschenkt hatte, weil sie ihn nicht zuordnen konnte. Sie hatte von
einer »fernen Gegend«, die der Lauf der Sonne niemals berührt und die in ewiger
Dämmerung liegt, geträumt.
Hatten sie sie erreicht?
Ben und Corey bildeten immer noch die Vorhut. Und gerade als
Onisha Fleur zurufen wollte, wie gespenstisch sie diese Ansammlung toter Bäume
fand, stieß Ben einen warnenden Ton aus. Onisha und Fleur schrien beinahe
gleichzeitig auf. Ein dunkler,
massiger Schatten erschien zwischen den Bäumen und trat auf sie zu. Es war ein
Hund. Ein ausgewachsenes, schwarzes Ungetüm mit einem rehartigen Kopf mit
spitzen Ohren und schlammgelben Augen. Sein schlanker Kopf passte perfekt zu dem
muskulösen, aber dennoch gut proportionierten Körperbau.
Die beeindruckende Gestalt eines riesigen Dobermanns stellte sich
ihnen in den Weg.
Das auch noch, dachte Onisha. Das Erscheinungsbild des Hundes war
mehr als Furcht einflößend. In Windeseile gesellten sich Onisha und Fleur an
Bens und Rouvens Seite. Dicht aneinander gepresst standen sie da und harrten
der Dinge, die da kommen würden.
Ben war völlig Herr der Situation. Er sträubte das Fell,
entblößte seine beeindruckend spitzen Zähne und stieß ein tiefes, dunkles
Grollen aus. Vielleicht war das der Moment, in dem sich Onisha in ihn
verliebte. In ihn, den Herumtreiber und Schürzenjäger. Den ganz und gar nicht
Standesgemäßen. Aber auch den Kraftvollen, Mutigen, der vor nichts und niemandem
den Schwanz einzog.
Der Dobermann ließ nicht lange auf seine Antwort warten. Er stieß
ein dunkles, drohendes Knurren aus, bei dem sich Onishas langes Fell Haar für
Haar aufstellte. »Was wollt ihr im Totenreich?«, fragte er kampflustig. »Ihr
wagt es, hier ungebeten zu erscheinen?«
»Wir suchen das Schwarze Kloster«, entgegnete Ben ihm
unbeeindruckt. Der Hund überragte ihn um einiges. Doch das schien den roten
Kater nicht zu kümmern. Onishas Hochachtung vor Bens Mut stieg von Minute zu
Minute.
»Was wollt ihr dort?« Der Dobermann blickte sie scharf an. Er
zeigte keinerlei Regung, nicht das geringste Erstaunen. Als würden täglich
Reisende seinen Weg kreuzen, die auf der Suche nach dem mysteriösen Kloster
waren. Onisha wurde noch eine Spur kleiner und sank fast in sich zusammen. Das
war aber nichts gegen Rocky. Der gab, als der Blick des Dobermanns ihn traf,
einen gurgelnden Laut von sich und sank wie ein welkes Blatt auf den Erdboden.
Wurde einfach ohnmächtig.
»Ich fasse es nicht«, zischte Fleur Onisha zu. »Das Weichei ist doch
tatsächlich aus den Latschen gekippt.«
»Was wollt ihr im Schwarzen Kloster?«, wiederholte der Dobermann
seine Frage. »Das Reich ist für Lebende tabu. Nur ein auserlesener Kreis darf
die Grenze vom Diesseits ins Jenseits überschreiten.«
»Und wer das ist, bestimmst DU?«, fragte Ben herausfordernd. »Wer
bist du denn, dass du dich hier so aufspielst?« Twinky keuchte vor Entsetzen
über den respektlosen Ton, den Ben dem riesigen Hund gegenüber anschlug.
Auch der Dobermann schien wenig Gefallen an Bens Art zu haben,
denn er trat einen weiteren Schritt auf den Kater zu und öffnete sein
geiferndes Maul. »Du sagst es. Das bestimme ich. Immerhin bin ich der Diener
des Ka, der Wächter des Totenreichs.«
»Wie ist dein Name, Wächter?«, fragte Ben unbeeindruckt von dem
schwefeligen Atem, der aus dem Rachen des Hundes drang und durch den Onisha
beinahe neben Rocky gesunken wäre. Obwohl die Schwefelwolke sie nur flüchtig
gestreift hatte.
»Mein Name ist Uschebtis!«
»Hör zu, Uschebtis, wir wollen keinen Streit. Wir wollen einzig
und allein ...«, begann Ben.
»Was ihr wollt, interessiert mich nicht«, unterbrach ihn
Uschebtis
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