Das Reich der Katzen (German Edition)
einmalig abgeschlossener
Akt. Sie wiederholt sich ständig und das wird auch an den Menschen nicht
spurlos vorübergehen. Auch sie werden besser werden. Werden ihren Charakter und
ihre Seele vervollkommnen.« Blackbird wippte mit dem Kopf und hüpfte zu Ben.
»Auch wenn du es mir jetzt nicht glaubst.«
»Ich lebe leider nicht lange genug, um diese wundersame
Entwicklung der Menschen mitzuerleben«, brummte Ben.
»Wer weiß.« Blackbird schlug mit den Flügeln und flatterte auf
einen Ast. Blickte von dort auf einen imaginären Punkt am Horizont. »Wer weiß«,
wiederholte er leise.
In der folgenden Nacht drangen sie in das Innere der Pyramide
ein. Onisha und Fleur von der Hoffnung getrieben, endlich die Grabstätte und
den Thron der Bastet zu finden. Sie schenkten den Hieroglyphen an den Wänden
wenig Beachtung. Jubelten nicht mehr über jeden Fund, sondern suchten zusammen
mit den Freunden fieberhaft nach der Grabkammer der Katzengöttin. Als sie sie
endlich fanden, waren sie maßlos enttäuscht. Kein Prunk und kein Geschmeide wie
in der Stufenpyramide. Der Raum war voll schlichter Sarkophage. Und in der Luft
lag negative Energie. Onisha und Fleur hatten nicht einmal die Gelegenheit
ihrer Enttäuschung Luft zu machen.
Sie waren nicht allein. Das spürten sie.
Twinky schrie auf und deutete mit der Pfote in die Richtung der
Sarkophage. Die Deckel der Gräber bewegten sich. Diesmal war es kein Traum.
Diesmal war es Realität. Sie bewegten sich tatsächlich. Schoben sich, wie von
Geisterhand geführt, im Zeitlupentempo zur Seite. Die Katzen wagten von dem
Sockel, auf dem sie Platz genommen hatten, einen vorsichtigen Blick in das
Innere der Gräber. Die mumiengestaltigen Körper lagen starr und unbeweglich
darin.
Wer also sollte die Grabdeckel verschoben haben?
Dann begannen sich die Mumien doch zu regen. Setzten sich mit
ruckartigen Bewegungen auf und erhoben sich. Kletterten staksig aus den
Steinsärgen. Blieben einige Sekunden davor stehen und schüttelten sich. Die in
Fetzen hängenden Leinenhüllen fielen von ihnen ab. Was darunter zum Vorschein
kam, war grauenvoll.
»Die Totenfresser!«, schrie Valentin. Seine Stimme überschlug
sich fast. »Lauft!«
Und sie liefen.
Um ihr Leben, um ihr Seelenheil.
Aus der Grabkammer heraus, durch die verschachtelten Gänge,
hinaus in das schützende Dunkel der Nacht. Blieben erst in sicherer Entfernung
stehen und blickten zurück auf die unheimlichen Wesen, die ihnen hinaus gefolgt
waren, aber unentschlossen vor der Pyramide stehen geblieben waren.
Oder warteten sie gar auf jemanden? Auf etwas?
Regungslos standen sie da. Blickten nur ab und zu nach links und
rechts. Hielten eindeutig nach jemand Ausschau. Das gab den Katzen die
Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Sie sahen wie eine Mischung aus Löwe, Nilpferd
und Krokodil aus. Was alleine schon grausig gewesen wäre. Aber sie gingen zu
allem Überfluss auch noch aufrecht und hatten etwas Menschliches an sich.
Die Mumien taumelten, machten einige unsichere Schritte und
blickten sich wieder suchend um.
Auf wen nur warteten sie?
Erst jetzt fiel Onisha wieder ein, wie Valentin die Wesen genannt
hatte. »Was sind Totenfresser?«, wollte sie von ihm wissen.
»Sie sind die Verkörperung der negativen Seite des Todes. Sind
feindlicher Gegenzauber. Wir müssen uns vorsehen.« Valentins Stimme zitterte.
Sosehr er sich auch bemühte seinen Schreck zu verbergen, es gelang ihm nicht.
»Ich hätte es wissen müssen. Schon als wir auf die Kreuzspinne gestoßen sind.
Ihr Auftauchen ist das untrügliche Zeichen für Tod und Zerfall.«
»Sie sehen selbst auch nicht besser aus«, frotzelte Ben. »Genau
genommen sind sie sehr zerfallen.«
»Lass dich durch ihr Aussehen nicht täuschen«, warnte ihn
Valentin. »Sie stecken voller Kraft und Böswilligkeit.«
»Das mag sein«, wandte Ben ein. »Momentan sehen sie aber ziemlich
desorientiert aus.«
»Nicht desorientiert«, verbesserte Onisha. »Sie sehen aus, als ob
sie auf jemand warten.«
Rocky erzitterte. Fuchtelte mit der Pfote durch die Luft und gab
einen gurgelnden Laut von sich, der eine nahende Ohnmacht ankündigte.
»Nicht schon wieder«, stöhnte Ben, schaute aber dennoch in die
Richtung, in die Rockys Pfote immer noch deutete.
Und erstarrte.
Da stand sie: Lavina.
Wie aus dem Erdboden gewachsen war sie plötzlich da. Mit einem
nachtblauen, bodenlangen Gewand bekleidet. Sie sprach auf die Totenfresser ein
und deutete einige Male in die Richtung der Katzen.
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