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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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Händen ist die Waffe besser aufgehoben als in meinen.« Sie reichte ihm den Dolch. »Der ist von den Tuavinn, er kann Rodhakan töten.«
    »Ich bin kein Rodhakan, ihr müsst mich nicht fürchten«, sprach da eine dunkle männliche Stimme.
    Da Kian keinerlei Anstalten machte, sich zu erheben, hielt Lena nun den Dolch vor sich – lächerlich, denn der Mann war gut und gerne zwei Meter groß. Jetzt, da er vor den Stamm einer dicken Eiche trat, ließ dieses Glimmen um ihn herum nach, und Lena fragte sich, ob das Schattenhafte nur von der Reflexion der Sonne hergerührt haben mochte.
    »Mein Name ist Arihan«, ertönte die dunkle Stimme. Als er die Kapuze zurückzog, kam ein markantes Gesicht zum Vorschein. Das lange dunkelgraue Haar verlieh seinem Gesicht mit den hervorstechenden Wangenknochen und der ausgeprägten Hakennase nicht nur etwas Raubvogelhaftes, sondern ließ zudem auch einen Tuavinn vermuten.
    »Ich bin gekommen, diesen tapferen jungen Krieger in die Nebel der Ewigkeit zu begleiten.«
    Sofort trat Ureat vor, seine Gefährten taten es ihm gleich. Prüfend betrachtete Lena Arihan, musterte seine bartlosen, ernsten Züge. Sie fürchtete sich vor ihm, doch es war nicht die Panik, die sie stets in Anwesenheit eines Schattenwesens überfallen hatte. »Ich glaube, er ist kein Rodhakan«, sagte sie mit dünner Stimme.
    Arihan verneigte sich vor ihr, geschmeidig, würdevoll. »Ich danke dir für dein Vertrauen, Menschenkind.« Bei diesen Worten trat er – die bewaffneten Männer ignorierend – auf Lena zu, legte ihr ganz unvermittelt eine große, sehnige Hand auf die Schulter und fixierte sie aus Augen, die so dunkelblau waren wie der Himmel, wenn die ersten Sterne zu blitzen begannen. Ein Anflug von Güte, aber auch Trauer lag in seinem Blick verborgen – und Würde.
    Ja, Würde war es, was er ausstrahlte. Er sah älter aus als Maredd, selbst Etron, den Lena reifer an Lebenserfahrung schätzte als die meisten seiner Art, wirkte im Vergleich zu Arihan deutlich jünger.
    Eine Klinge, die nach wie vor auf ihn gerichtet war, schob er einfach beiseite. »Genug Leben wurden heute verschwendet«, sagte er mit dieser tiefen Stimme zu dem Krieger, der die Waffe hielt. »Hilf mir also, deines und das deiner Kameraden zu bewahren.« Der Mann schluckte, dann senkte er den Kopf, als sich der Blick des Tuavinn auf ihn richtete.
    Ureat grummelte etwas, aber Lena lächelte ihm beruhigend zu. Als der Tuavinn schließlich zu Ruven ging, bekam Lena eine Gänsehaut. Sein Mantel, der ihm vom Wind um den hochgewachsenen Körper geweht wurde, warf einen Schatten auf den Schnee, der an Flügel erinnerte. Wie ein Todesengel , drängte sich Lena der düstere Gedanke auf, und sie schlang die Arme um den Körper, als würde sie nackt im eisigen Wind stehen.
    Langsam kniete sich Arihan neben dem verwundeten jungen Mann, dessen Brust sich unregelmäßig hob und senkte, in den Schnee. »Ich kann ihm die Schmerzen ersparen. Darf ich ihn mitnehmen?«, wandte sich Arihan mit sanften Worten an Kian.
    »Er ist mein Bruder«, würgte dieser hervor. »Ich wollte ihm noch so viel sagen.«
    »Du spürst Trauer in dir, lass sie zu. Aber sei gewiss, du wirst ihn wiedersehen – eines Tages seid ihr vereint, dann kann gesagt werden, was zwischen euch noch nicht ausgesprochen wurde.«
    Kian hob den Kopf und blickte den Tuavinn an. So viel Schmerz lag in seinen Augen, dass es Lena vor Mitleid das Herz zerriss.
    »Was hast du mit ihm vor?«, fragte Ureat schroff.
    »Ich begleite ihn in die Nebel der Ewigkeit, bringe ihn auf seine Weiterreise.«
    »Und wenn er hierbleibt?«
    »Dann wird er weitere Schmerzen erleiden und seine Seele den Weg allein in die Nebel und ins Licht finden müssen. Das ist zunächst verwirrend, und wenn ihn ein Rodhakan zuerst findet …« Arihan zuckte mit den Achseln.
    Fragend blickte Kian zu seinem Onkel, doch der schwieg.
    »In alten Tagen haben wir Tuavinn euch alle begleitet«, erzählte Arihan. »Nur kommen leider nur noch wenige zu uns.«
    »Lass ihn gehen«, sagte Lena zu Kian. »Ich habe erlebt, wie eine alte Frau vom Bergvolk die Tuavinn aufsuchte. Sie hatte keine Angst, und Aravyn hat sie begleitet. Es war – friedlich.«
    »Bist du sicher? Ich weiß nicht …« Kians Stimme bebte und brach schließlich ganz ab.
    Lena legte ihre Arme um seine Schultern und nickte. »Es ist richtig, glaub mir.«
    »Gut, dann nimm ihn mit.« Noch einmal streichelte Kian seinem Bruder über die Haare, ließ es zu, dass Arihan ihn hochhob.

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