Das Rote Kornfeld
Schlangenfleisch sei gut gegen Lepra, und nachdem sie es gegessen hatten, war beiden ganz heiß geworden. Vater blieb unbeweglich stehen, und kaum dass die Schlange den Kopf senkte, griff er zu, packte sie am Schwanz und schüttelte sie mit aller Kraft, bis er die Knochen krachen hörte. Dann griff er sie genau hinter dem Kopf und drehte hart um. «Vater», rief er, «ich werf sie hoch.»
Großvater trat genau in dem Augenblick vom Brunnenrand zurück, als die halbtote Schlange wie ein Stock aus Fleisch auf dem Boden neben dem Brunnen landete. Großvater bekam eine Gänsehaut. «Dieser kleine Teufel hat Nerven wie ein Einbrecher.»
Vater half Qian’er sich aufzurichten und rief ihr ins Ohr: «Qian’eri Ich bin’s, Douguan. Ich werde dich retten.»
Großvater drehte langsam die Winde und zog Mutter aus dem Brunnen. Dann holte er die Leiche meines kleinen Onkels heraus.
«Vater, lass die Gewehre runter!»
«Geh beiseite!»
Die Winde quietschte, als das Gewehrbündel in der Tiefe versank. Dann machte Vater den Strick los und band ihn sich um die Hüfte.
«Zieh mich hoch, Vater!»
«Ist das Seil fest?» fragte Großvater.
«Ja.»
«Bist du sicher, dass es fest ist? Sei nicht unvorsichtig!»
«Es ist fest und sicher.»
«Hast du einen Seemannsknoten gemacht?»
«Was hast du, Vater? Schließlich war ich es doch, der Qian’er an das Seil gebunden hat.»
Vater und Großvater betrachteten Qian’er, die auf dem Boden lag. Die Haut über den Backenknochen war straff gespannt, die Augen lagen tief in den Höhlen, das Zahnfleisch stand vor, und ihr Haar war wild verknotet. Die Fingernägel ihres toten kleinen Bruders hatten sich blau gefärbt.
7
Unter der liebevollen Pflege der hinkenden Liu verbesserte sich Mutters Zustand rapide. Waren Vater und sie früher nur gute Freunde gewesen, so waren sie seit Mutters Rettung aus dem Brunnen wie Bruder und Schwester. Dann erkrankte Großvater schwer an Typhus und schien zeitweise dem Tode nahe. Einmal, als er fast bewusstlos dalag, stieg der süße Geruch von Hirsebrei in seine Träume. Also sammelten Vater und die anderen schnell ein wenig Hirse, und Frau Liu kochte sie vor Großvaters Augen, bis sie weich war. Er aß eine Schale von dem Brei, dann platzten Äderchen in seiner Nase und setzten einen dicken, dunklen Blutstrom frei. Danach wurde sein Appetit wieder besser, und er war auf dem Weg zur Genesung. Mitte Oktober konnte er schon an einem Spazierstock in den Garten humpeln und die warmen Strahlen der Herbstsonne aufsaugen.
Damals, so hat man mir berichtet, kam es am Damm von Wang Gan zu einem Zusammenstoß zwischen den Truppen von Pockennarbe Leng und Füßchen Jiang. Auf beiden Seiten gab es viele Opfer. Aber Großvater war viel zu krank, um sich darum oder um irgend etwas anderes zu kümmern.
Vater und die anderen errichteten im Dorf Notunterkünfte und suchten dann in den Schutthaufen allerhand Werkzeug zusammen, um genug Hirse für den Winter und das Frühjahr zu ernten. Seit Ende August war ständig Herbstregen gefallen und hatte die dunkle Erde in ein Meer von Schlamm verwandelt. Mindestens die Hälfte der aufgeweichten Halme lag faulend am Boden, und die herabgefallenen Samenkörner hatten Wurzeln geschlagen und begannen schon zu sprießen. Zarte grüne Sprosse bahnten sich ihren Weg durch die blaugrauen und roten Fäulnisflecken, und die Hirserispen wehten im Wind oder wanden sich wie verfilzte buschige Fuchsschwänze über dem Boden. Metallisch graue, schwere Regenwolken eilten über den Himmel, unter dem schwarze Schatten durch die Hirsepflanzen huschten. Kalte Regentropfen hämmerten hart auf die Halme ein. Krähenschwärme, die über dem Sumpfgelände vor dem Dorf kreisten, kämpften mit wasserschweren Flügeln um Aufwind. In jenen Tagen war Sonnenschein kostbar wie Gold, denn über dem Sumpfland lag ständig eine zähe Nebeldecke. Mal war sie dünn, dann wieder dicht und undurchdringlich.
Als Großvater krank war, wurde Vater zum Anführer. Er führte Wang Guang, Dezhi, den Lahmen, den Blinden und Qian’er mit Gewehren und Munition in einen verbissenen Krieg gegen die leichenfressenden Hunde im Sumpfland. In den Schlachten, die hier geschlagen wurden, reifte Vater zum Meisterschützen.
Gelegentlich fragte Großvater mit schwacher Stimme: «Was tust du, mein Sohn?»
Eine mordlustige Hassfalte auf der Stirn, antwortete Vater : «Wir kämpfen gegen die Hunde.»
«Lasst es gut sein», sagte Großvater dann.
«Das kann ich nicht»,
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