Das Rote Palais - Die Totenwächterin / Der Gottvampir / Die Schattenpforte: Special-eBook-Edition Trilogie (German Edition)
Au s gang. Vor ihm zweigte eine Reihe tunnelartiger Gänge aus dem Hauptteil des Raumes ab. Doch im Grunde war es sinnlos, einen von ihnen zu wählen. Langsam dämmerte ihm, an welchem Ort er sich befand. Die Wahl war also doch auf ihn gefallen. Dabei hatte er gehofft, der Kelch dieser zweifelhaften Ehre würde an ihm vorüberziehen. Zweifellos befand er sich in Niflheim, seine transfo r mierte Aura zeugte unmissverständlich davon. Sein Körper leuchtete wie eine Phosphorfackel und war die einzige Lich t quelle in der Höhle, in der er normalerweise nicht die eigene Hand vor Augen hätte sehen kö n nen. Modgudr und ihr Gefolge benötigten kein Licht. Sie zogen die Dunkelheit vor, um die Gö t tin Hel zu ehren.
Wie er allerdings in das Reich der Höllenjungfrau tief unter den Str a ßen von Niflstadt gelangt war, konnte er sich nicht erklären. Gerüchten zufolge lud Modgudr seit einiger Zeit männliche Vampire zur Audienz. Es war bekannt in Niflheim, dass sich die Hö l lenjungfrau in der Phase der Geschlechtsreife befand und auf der Suche nach dem g e eigneten Partner war. Die Wenigsten rissen sich darum, doch es gab auch welche, die damit angefangen hatten, wie Gecken durch Niflstadt zu stolzieren, um Modgudrs H ä scher auf sich aufmer k sam zu machen. Dass nur selten einer dieser Kandidaten zurückkehrte, schien sie nicht zu interessieren. Die Wenigen, denen es aus unerfindlichen Gründen gelungen war, berichteten vom Bestreben der Halbgöttin, sich for t zupflanzen. Auffällig war, dass jeder Erwählte die atemberaubende Schönheit Modgudrs beschrieb, wobei sich ausschlaggebende Details deu t lich voneinander unterschieden. Wurde sie von dem Einen als blonde, vollbusige Gr a zie gelobt, berichtete der Nächste von einer androgynen Frau mit Elfenbeinteint. Das konnte nur bedeuten, dass die Halbriesin für jeden Mann dessen Idee des perfekten wei b lichen Gegenstücks darstellen konnte.
Erneut stieß Rudger ein missmutiges Seufzen aus, denn wenn Modgudrs Pläne bislang gescheitert waren, dürfte sich der Mythos bewahrheiten. Dem Geschlecht der Riesen en t sprangen nur äußerst selten Nachkommen und niemals wurde berichtet, dass sich ein Mischling fortgepflanzt hatte. Modgudr war jeweils zur Hälfte Riesin und Göttin. Sie wus s te, wie schwierig, nahezu unmöglich es war, doch der Zustand der hormonellen Umstellung mit stark erhöhter Libido zwang sie, diesem Umstand zwanghaft entgegenz u wirken. Sie würde alles daran setzen, sich for t zupflanzen, die Ausnahme von der Regel zu sein. Nur noch ihren Instinkten folgend, war ihr Urteilsvermögen getrübt. Eine gefährliche Komb i nation.
„Warum so ungeduldig?“
Rudger fuhr herum, um auszumachen, woher die Stimme kam. Doch das Echo tat seine irriti e rende Arbeit. Es war sinnlos, nach ihr zu suchen. Waren Götter in der Menschenwelt auf physische Körper angewiesen, konnten sie in Niflheim jede Gestalt und Form annehmen. Einem Chamäleon gleich, war sie in der Lage, mit den Felsenwänden zu verschme l zen oder als Nebel in einer der dunklen Ecken auszuharren. In Hels Unterwelt befand sie sich in ihrem natürlichen Territorium. Mit den optimalen B e dingungen für ihre Zwecke.
Ein Kribbeln in seinem Nacken verriet Rudger, dass sie unmittelbar hinter ihm Form a n genommen hatte. Langsam drehte er sich um, tat einen Schritt nach hinten. Was er sah, war beeindruckend, wenn auch ein Tru g bild. Große, schräg stehende Augen blickten ihm auf gleicher Höhe entgegen. In der rot glühenden Iris spiegelten sich sämtliche Hölle n feuer. Aus dieser Nähe betrachtet, waren sie beinahe schön. Ein schwefeliger Geruch umgab sie, gerade so schwach, dass er ihn nicht als unang e nehm empfand. Ähnlich wie bei einem Streichholz, kurz, nachdem man es ausgepustet hat. Über hohe Wange n knochen zog sich alabasterweiße Haut bis zu dem spitz zulaufenden Kinn. Ein harter Zug in den Mundwinkeln ließ erst gar nicht den Gedanken aufkommen, dass die vollen, bläul i chen Lippen sin n lich sein könnten. Glänzendes, schwarzes Haar fiel glatt bis auf die Hüften. Ein langer Umhang verbarg einen vermutlich athletischen Körper. Dichte Wimpernkrä n ze senkten sich, während sie Rudger von Kopf bis Fuß musterte.
„Ich finde es wirklich unpraktisch, dass immer alle angekleidet hier au f tauchen.“
Aus der vorderen Öffnung ihres Umhangs schlüpfte ein schlanker Arm. Mit dem langen, gebogenen Fingernagel tippte sie nac h denklich an ihr Kinn.
„Es gibt gute Gründe, warum
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