Das Sakrament
Johannes’ des Täufers. Das Behältnis war mit Ziegenleder ausgepolstert, das ein schmales Kristallfläschchen schützte. Als er es herausnahm, sah man, daß es am Boden einen dunkelbraunen Satz hatte.
»Ich soll dieses persönliche Geschenk von Kardinal Michele Ghislieri Euch und der Zunge von Italien überreichen. Der Kardinal betet stündlich für Eure Sicherheit und vertraut darauf, daß diese heilige Reliquie, deren Echtheit von den allerhöchsten Autoritäten bestätigt wurde, Euch in den kommenden Wirren Schutz und Rettung bringen möge.«
Del Monte nahm das Fläschchen entgegen und hielt es, als könnte selbst die zarteste Berührung das Glas zersplittern.
Ludovico erklärte: »Dies ist ein Blutstropfen des heiligen Johannes des Täufers.«
Del Montes Augen füllten sich mit Tränen. Er fiel auf die Knie, und seine Hände zitterten, als er das Fläschchen mit dem heiligen Blut an die Lippen drückte und betete. Nie hatte man ein aufrichtigeres Bild wahren Glaubens gesehen. Dieser Anblick erfüllte Ludovico mit größter Zufriedenheit. Del Montes Gunst war ihm sicher, und obwohl der Mann es noch nicht wußte – und niemals erfahren würde –, war er soeben zum Grundstein für Ludovicos Plan geworden. Die ersten Schritte in seiner Intrige hatte er mit großem Geschick hinter sich gebracht, doch es blieb noch viel zu tun. Am wichtigsten war nun, zu beweisen, daß er gut genug war, um in den Orden aufgenommen zu werden.
Und dazu brauchte es eine Schlacht.Am Tag nach der Ankunft der kleinen Entsatztruppe schickte Mustafa Pascha einen Gesandten, der Friedensverhandlungen führen sollte. Die Bedingungen waren dieselben, die der Orden damals bei der Belagerung von Rhodos akzeptiert hatte. Sie waren so großzügig wie nur irgend möglich, ohne einen türkischen Rückzug anzukündigen. Falls La Valette den Türken sofort die Herrschaft über die Insel überlassen würde, würde man ihm und all seinen Rittern sicheres Geleit nach Sizilien garantieren, und weder ihre Waffen noch ihre Reliquien, Fahnen oder Ehre würden angetastet werden. Man würde das Leben der Einwohner verschonen; sie würden Untertanen von Suleiman Schah werden und damit seinen Schutz genießen. Unter anderem würde man ihnen auch die Religionsfreiheit gewähren, jede gewünschte Gottheit nach Ritualen ihrer Wahl zu verehren. Aus vielen guten Gründen hätte jeder intelligente und friedfertige Mann dieses Angebot mit beiden Händen ergriffen. La Valette hörte höflich zu. Dann befahl er, den Gesandten zum Galgen am provenzalischen Tor zu bringen und aufzuhängen.
TEIL III
D IE W INDE DER Z ERSTREUUNG
S ONNTAG , 15. J ULI 1565
In der Festung von St. Michael – L’Isla
Ludovico stand auf der Bastion der Festung von St. Michael und lauschte den unheiligen Gebetsrufen. Es waren teuflische Wesen, gebannt von den Schreien eines Wahnsinnigen aus der Wüste. Nach den Maßstäben seiner eigenen Bildung wußte er nur wenig über den Islam, aber schon mehr als genug, um darin einen Glauben zu erkennen, der dazu angetan war, die primitivsten Geister zu erregen und zu umgarnen. So würde dieser Glauben zweifellos weiterhin eine ungeheure Gefolgschaft unter den niederen Völkern finden, doch solange man seinen Einfluß auf die weniger fruchtbaren Landstriche beschränken konnte, würde ihn die Geschichte schließlich zur Bedeutungslosigkeit verdammen – ihm vielleicht noch die Rolle einer Fessel gegen den Fortschritt der Menschheit zuschreiben.
Ludovicos Gewährsmänner hatten ihm alles erzählt, was hier in seiner Abwesenheit geschehen war. Mattias Tannhäuser war in St. Elmo gefallen. Sein tölpelhafter Kumpan Bors war ein schlafender Hund, den man besser nicht weckte. Die Geschichte über den Jungen, den Tannhäuser aufgespürt hatte und der auch umgekommen war, hatte Ludovico Schmerzen bereitet – größere Schmerzen, als er für möglich gehalten hätte. Er hatte einen Sohn gezeugt. Er verspürte keine Scham, sondern Stolz, keine Gleichgültigkeit, sondern eine tiefe Trauer. Der Junge war nur eine abstrakte Vorstellung, und doch spukte er ihm ständig durch den Kopf. Genau wie Carla. Ludovico hatte keinen Versuch unternommen, sie zu finden. Er fürchtete die Macht, die sie über sein Herz und damit auch über seinen Willen besaß.
Aus einer Viertelmeile Entfernung erklang aus den pechschwarzen Schatten von Santa Margherita das Klirren von Ausrüstungen und das Dröhnen von Tausenden von Schritten. Das Untier des Islam war wach und
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