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Das Schicksal in Person

Das Schicksal in Person

Titel: Das Schicksal in Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nicht, er hat das überhaupt nie vorgehabt. Oder man legt ihm auch Schwierigkeiten in den Weg, der Vater will von einer Heirat nichts wissen. Ihre Verwandten bestehen dann darauf, dass er »das tut, was richtig ist«. Und mit der Zeit wird der Junge der Sache überdrüssig und hat vielleicht auch schon ein anderes Mädchen. Und dann greift er zu einem brutalen Mittel, er erwürgt sie und entstellt sie so, dass sie nicht mehr identifiziert werden kann.
    Miss Marple schaute sich von ihrem Platz aus in der Kirche um. Alles sah so friedlich aus, dass es schwer fiel, an die Existenz des Bösen zu glauben. Mr Rafiel hatte gesagt, sie habe einen Spürsinn für das Böse. Sie stand auf, ging aus der Kirche und blickte noch einmal auf den Friedhof. Hier, zwischen den Grabsteinen mit ihren verwitterten Inschriften, hatte sie nicht das Gefühl von der Gegenwart des Bösen.
    Doch war es das vielleicht, was sie gestern im Old Manor House gespürt hatte? Diese tiefe Niedergeschlagenheit und Trauer? Anthea Bradbury-Scott, die immer ängstlich über die Schulter blickte, als ob sie spürte, dass jemand hinter ihr stehe?
    Diese drei Schwestern… Sie wussten irgendetwas – aber was? Wieder musste Miss Marple an Elizabeth Temple denken. Sie malte sich aus, wie Elizabeth Temple jetzt mit den andern unterwegs war, einen steilen Abhang hinaufkletterte und dann über die Klippen zum Meer hinabschaute.
    Morgen, wenn sie wieder mit der Gesellschaft zusammentraf, wollte sie Elizabeth Temple bitten, ihr mehr zu erzählen.
    Miss Marple kehrte langsam zum Old Manor House zurück, sie war inzwischen müde geworden. Sie stellte fest, dass dieser Morgen nicht so ergiebig gewesen war. Zwar hatte ihr Janet von dem tragischen Tod des Mädchens erzählt, aber welches Dienstmädchen hatte nicht einen ganzen Schatz solcher Geschichten parat, ob sie nun fröhlich waren oder traurig.
    Als sie sich dem Gartentor näherte, sah sie zwei Frauen dort stehen. Die eine kam auf sie zu, es war Mrs Glynne.
    »Oh, da sind Sie ja«, sagte sie. »Wir haben uns schon gefragt, wo Sie stecken. Ich dachte mir fast, dass Sie einen Spaziergang machen, hoffentlich haben Sie sich nicht übernommen. Viel zu sehen gibt es allerdings nicht.«
    »Ach, ich bin nur ein bisschen herumspaziert«, sagte Miss Marple. »Zur Kirche und zum Friedhof. Kirchen interessieren mich immer. Manchmal gibt es da ganz merkwürdige Grabplatten. Die Kirche ist im letzten Jahrhundert restauriert worden, nicht wahr?«
    »Ja. Leider hat man auch neue Bänke hineingestellt. Alles zwar sehr solide, aber gar nicht künstlerisch.«
    »Hoffentlich ging nichts Wertvolles verloren?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Es ist ja keine sehr alte Kirche.«
    »Es sind offenbar nicht mehr viele alte Grabplatten da«, sagte Miss Marple.
    »Interessieren Sie sich denn besonders für kirchliche Architektur?«
    »Nur so nebenbei. Bei mir zu Hause, in St. Mary Mead, geschieht immer allerlei um die Kirche herum. Das war ja immer schon so. Jedenfalls in meiner Jugend. Heute ist das natürlich anders. Sind Sie hier in der Gegend aufgewachsen?«
    »Ja, in Little Herdsley, etwa dreißig Meilen von hier. Mein Vater war pensionierter Offizier, Major der Artillerie. Wir sind öfter bei meinem Onkel zu Besuch gewesen, auch vorher bei meinem Großonkel. Meine Schwestern sind nach dem Tod meines Onkels hierhergezogen, aber damals lebte ich mit meinem Mann noch im Ausland. Er ist erst vor fünf Jahren gestorben.«
    »Ach so, ich verstehe.«
    »Sie wollten unbedingt, dass ich zu ihnen ziehe. Es schien auch tatsächlich die vernünftigste Lösung. Wir hatten einige Jahre in Indien gelebt, mein Mann war dort stationiert, als er starb.«
    »Und Sie fühlten sich ja hier wie zu Hause, da Ihre Familie so lange in der Gegend gelebt hatte.«
    »Ja, eben. Ich war mit meinen Schwestern in Verbindung geblieben, hatte sie hin und wieder besucht. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus, als man es sich vorgestellt hat. Ich habe in der Nähe von London, bei Hampton Court, ein kleines Landhaus. Dort bin ich oft, und manchmal arbeite ich auch in London bei einer Wohlfahrtsorganisation.«
    »So ist Ihre Zeit immer ausgefüllt. Das ist eine kluge Lösung.«
    »In letzter Zeit hatte ich oft das Gefühl, ich sollte öfter herkommen. Ich habe mir Sorgen um meine Schwestern gemacht.«
    »Aus gesundheitlichen Gründen?«, fragte Miss Marple.
    »Clotilde war immer sehr kräftig«, sagte Mrs Glynne. »Oder vielmehr zäh. Aber Anthea, um sie mache ich mir

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