Das Schicksal in Person
anderes: Sie sagte, Verity sei mit Mr Rafiels Sohn verlobt gewesen. Mr Rafiel ist oder vielmehr war ein Freund von mir. Er hat auch diese Reise für mich bezahlt. Ich glaube, er wollte, dass ich auf diese Weise Miss Temple kennen lerne. Er war wohl der Ansicht, dass sie mir gewisse Informationen geben könnte.«
»Informationen über Verity?«
»Ja.«
»Deswegen wollte sie zu mir kommen. Sie wollte von mir über bestimmte Dinge Auskunft haben.«
»Sie wollte wahrscheinlich wissen«, sagte Miss Marple, »weshalb Verity ihre Verlobung mit Mr Rafiels Sohn löste.«
»Verity hat ihre Verlobung nicht gelöst«, sagte Brabazon. »Das glaube ich nicht, ganz sicher nicht.«
»Aber das wusste Miss Temple nicht?«
»Nein. Wahrscheinlich beunruhigte sie diese ganze Sache, und sie wollte von mir wissen, warum die Hochzeit nicht stattfand.«
»Und warum fand sie nicht statt?«, fragte Miss Marple. »Bitte, denken Sie nicht, dass ich aus reiner Neugier frage. Es hat einen anderen Grund. Ich bin zwar nicht auf einer Pilgerfahrt, aber ich habe eine Mission zu erfüllen. Ich möchte ebenfalls wissen, warum Michael Rafiel und Verity Hunt nicht geheiratet haben.« Brabazon schaute sie nachdenklich an.
»Sicher sind Sie in irgendeiner Weise auch in diese Angelegenheit verwickelt…«
»Ja«, antwortete Miss Marple. »Weil ich Michael Rafiels Vater einen Wunsch erfüllen möchte. Er bat mich darum, bevor er starb.«
»Ich habe keinen Grund, Ihnen irgendetwas vorzuenthalten«, sagte Brabazon langsam. »Sie fragen mich das, was Elizabeth Temple mich gefragt hätte, aber eine Antwort weiß ich nicht. Die zwei jungen Leute wollten heiraten, Miss Marple. Sie hatten alle Vorbereitungen getroffen, ich sollte sie trauen. Ich nehme an, dass sie die Hochzeit geheim halten wollten. Ich kannte sie alle beide, Verity und Michael. Verity, dieses liebe Kind, kannte ich schon sehr lange. Ich habe sie auf die Konfirmation vorbereitet, in Elizabeth Temples Schule. Eine prachtvolle Schule – und eine bemerkenswerte Frau. Sie war eine wunderbare Lehrerin und hatte ein sicheres Gefühl für die Fähigkeiten ihrer Schülerinnen. Für das, was aus ihnen zu machen war. Sie war eine großartige Frau und eine sehr liebe Freundin. Verity war eines der schönsten Mädchen, das ich je gesehen habe. Und nicht nur schön in ihrer äußeren Erscheinung, sondern auch innerlich. Sie hatte ja das große Unglück, ihre Eltern sehr früh verloren zu haben. Bei einem Flugzeugunglück; sie waren auf dem Weg nach Italien. Verity lebte dann, als sie mit der Schule fertig war, bei einer Miss Clotilde Bradbury-Scott. Sie kennen sie vielleicht, sie wohnt hier am Ort. Sie war eine gute Freundin von Veritys Mutter. Es sind drei Schwestern, aber die eine war damals im Ausland verheiratet. Clotilde, die älteste, hing ganz besonders an Verity. Sie tat alles, um sie glücklich zu machen. Sie reiste mit ihr ins Ausland, machte auch eine Bildungsreise nach Italien und war in jeder Weise um sie besorgt. Auch Verity liebte sie sehr, wohl ebenso sehr, wie sie ihre eigene Mutter geliebt haben könnte. Sie war sehr abhängig von Clotilde, die übrigens eine intelligente und gebildete Frau ist. Clotilde hat nicht auf einem Universitätsstudium bestanden – vielleicht, weil Verity keine große Neigung dazu hatte. Verity zog es zur Kunst, zur Musik. Sie war, glaube ich, sehr glücklich, dass sie hier im Old Manor House lebte. Aber sie machte ja immer einen glücklichen Eindruck. Natürlich habe ich sie in der Zeit, als sie hier war, nicht gesehen, denn ich war damals in Fillminster, das ist etwa sechzig Meilen entfernt. Ich schrieb ihr zu Weihnachten und anderen Festen, und sie schickte mir jedes Jahr eine Weihnachtskarte. Doch bis zu dem Tag, als sie plötzlich mit Mr Rafiels Sohn Michael auftauchte, hatte ich sie nicht mehr wiedergesehen. Sie war in der Zwischenzeit sehr schön und fraulich geworden. Michael war ein attraktiver junger Mann, ich kannte ihn flüchtig. Sie kamen zu mir, weil sie sich liebten und heiraten wollten.«
»Und Sie waren bereit, sie zu trauen?«
»Ja, Miss Marple. Vielleicht sind Sie der Ansicht, dass ich das nicht hätte tun sollen. Sie waren heimlich zu mir gekommen, das war mir klar. Wahrscheinlich hatte Clotilde Bradbury-Scott versucht, die beiden auseinanderzubringen. Das wäre auch ihr gutes Recht gewesen. Michael Rafiel war, offen gesagt, nicht der Mann, den man sich für die eigene Tochter oder eine Verwandte gewünscht hätte. Verity war
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