Das Schloss Im Moor
solches Gekritzel abzuschicken. Im
persönlichen Verkehr war Mangel an Takt und Umgangsform nicht wahrnehmbar gewesen, es ist also undenkbar, daß
dieser entsetzliche Brief von Hodenberg stammt. Wer aber konnte von den zarten Beziehungen Kenntnis haben, wer schrieb
diesen, Absender wie Empfänger gleich blamierenden Brief? Hat ihn Hodenberg geschrieben, so steht der Baron auf der
Bildungsstufe eines Roßknechtes, der Verfasser kann kein Edelmann, kein Gebildeter sein, er ist in diesem Falle nicht,
was zu sein er behauptet.
Olga wollte schreien vor Angst und Zorn, zu Hodenberg eilen, ihn auffordern, Rechenschaft zu geben, ja sich zu
legitimieren über seine Person und Abkunft. Doch die Vernunft wies diesen Gedanken wieder zurück. Es war
unstatthaft, unmöglich, daß eine gebildete Dame aus gutem Hause einem Manne nachlief. Und selbst wenn Olga den
Baron zur Verantwortung auffordern würde, welchen Gefahren für den guten Ruf würde sie sich aussetzen!
Entlarvt Olga den Mann als ungebildeten Menschen, was war damit erreicht? Mit ihm hatte sie sich heimlich verlobt, ihm hatte
sie das Jawort gegeben, an seiner Seite wollte sie glücklich werden! »Gott, was habe ich getan!« jammerte
Olga in bitterster Seelennot. Unmöglich ist eine Aussprache mit der Mutter wie mit Theo; leiseste Andeutung eines
Verlöbnisses müßte zum Bruch führen. Eine Olga Tristner verlobt mit einem Manne, der solche Briefe
schreibt – undenkbar! Und das Undenkbare ist Tatsache! Kann die Verlobung rückgängig gemacht werden? Eine
kurze Zeile an Hodenberg würde genügen. Aber darf man einem so ungebildeten Manne eine Zeile anvertrauen? Und noch
dazu das Eingeständnis der Existenz früherer Beziehungen? Wer bürgt dafür, daß mit der Absage nicht
Unfug getrieben wird?
Olga dachte an die Herrin von Zankstein, die vielleicht klar sehen, Rat erteilen könnte. Benedikte schien aber doch
selbst an Hodenberg Gefallen gefunden, sich für ihn interessiert zu haben. Und so intim befreundet ist Olga mit der
Zanksteinerin doch nicht, um das Geheimnis der Verlobung und des Hodenbergschen Briefes Benedikten anvertrauen zu
können.
Auch an den ihr bisher nichts weniger denn sympathischen Amtsrichter, den verknöcherten Aktenmenschen, mußte
Olga denken. Doktor Thein würde ihr sicher am besten raten können, doch wie blamiert müßte Olga vor dem
Richter stehen!
Ist es wirklich undenkbar, daß ein in Umgangsformen sonst gewandter Mann schlecht schreibt, Fehler im Satzbau und
Orthographie macht? Olga gestand sich selbst zu, daß auch ihre Briefe nicht völlig fehlerfrei seien, und sie noch
im Pensionat mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß stand.
Diese Gedanken erweiterte Olga nach Art der nach Strohhalmen greifenden Ertrinkenden so lange, bis sie eine Entschuldigung
für den Brief fand und daran glaubte. Die mühsam erreichte Einlullung des Gewissens zerriß wie Nebel im
Nordwind, als Theo eines Tages erzählte, daß Baron Hodenberg im benachbarten Heilbrunn weile und unsinnig
wirtschafte, das Geld mit vollen Händen von sich werfe, Sektgelage veranstalte, Hasard spiele, kurz der Löwe des
kleinen Badeortes sei und gewaltig aufdrehe.
Olga erbleichte bis in die Lippen, ein Zittern lief durch ihren schönen, zierlichen Körper, sie fühlte sich
einer Ohnmacht nahe. Gemütskrank will Hodenberg sein und treibt es toll im Bad Heilbrunn! Lug und Trug alles! Frage um
Frage drängte sich auf die Zunge, doch Olga schwieg und kämpfte ihren Schmerz wie die Seelenangst nieder.
Bei Tisch erzählte Theo diese Geschichte der Mama, die sogleich Gott dankte, daß dieser Sausewind ihr Haus
verlassen habe.
Gereizten Tones warf Olga ein, daß die Aristokratie andre Lebensbedürfnisse hätte, an Müßiggang
gewöhnt sei, und Bürgersleute kaum das nötige Verständnis für das Leben des Hochadels
besäßen.
»Olgele, blamier dich nicht!« lachte Theo, »mit solcher Verteidigung kommst du sicher unter die
Wagenräder, und dein Liebling wird in Ewigkeit kein Heiliger!«
»Ich will nicht daran glauben, daß meine Tochter auch nur in Gedanken eine Verbindung mit dem Baron, der mir
ein Abenteurer zu sein scheint, für möglich gehalten hat!« rief tiefernst Frau Helene.
»Möchte mich auch schönstens bedanken! Meinen Herrn Schwager in spe stelle ich mir anders vor!«
Olga preßte die Lippen zusammen und senkte das Haupt. Es ward ihr zur Erlösung, daß in diesem Augenblick
der Amtsrichter Doktor Thein gemeldet wurde.
Theo eilte zur
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