Das Schloss in Frankreich
Jetzt wollen wir uns aber Großmutter und unserem Gast widmen.« Er lächelte sie angriffslustig und aufreizend an. »Wahrscheinlich fragen sie sich schon, was aus uns geworden ist.«
Sie hätten sich darüber keine Gedanken zu machen brauchen, stellte Shirley fest, als sie am Arm von Christophe das Speisezimmer betrat. Die Gräfin unterhielt sich angeregt mit Tony und erklärte ihm wortreich die Sammlung von antiken Dosen auf dem spiegelnden Büffet.
Das Mahl wurde mit einer kalten, erfrischenden Vichy-Suppe eingeleitet. Tony zuliebe setzten die Gräfin und Christophe die Unterhaltung in englischer Sprache fort, und sie redeten über belanglose und unpersönliche Dinge. Shirley entspannte sich langsam, als sie die Suppe verzehrt hatten und der gegrillte Hummer serviert wurde. Er war so delikat, dass er der Köchin alle Ehre machte, obgleich sie ein Drachen war, wie Christophe sie am ersten Tag scherzhaft bezeichnet hatte.
»Ich könnte mir vorstellen, dass deiner Mutter der Umzug aus dem Schloss in das Haus in Georgetown nicht schwer gefallen ist, Shirley«, bemerkte Tony plötzlich, und sie schaute ihn fragend an.
»Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.«
»Es gibt so viele grundlegende Gemeinsamkeiten. Natürlich ist hier alles viel weitläufiger, doch überall befinden sich hohe Decken, in jedem Zimmer gibt es einen Kamin, und auch der Stil der Möbel stimmt überein. Sogar die Treppengeländer ähneln einander. Hast du das nicht bemerkt?«
»Doch, ich glaube schon, aber jetzt wird es mir erst richtig klar.«
Sie überlegte, ob ihr Vater vielleicht das Haus in Georgetown gekauft hatte, weil ihm ebenfalls die Ähnlichkeit aufgefallen war, und ob ihre Mutter sich bei der Auswahl der Möbel von ihren Kindheitserinnerungen hatte leiten lassen. Der Gedanke daran tat ihr irgendwie wohl. »Ja, sogar die Treppengeländer.« Lächelnd nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. »Ich bin immer darauf heruntergerutscht, und dann weiter bis zum Erdgeschoss.« Sie lachte hell auf. »Meine Mutter sagte häufig, dass meine körperliche Beschaffenheit ebenso widerstandsfähig sein müsste wie mein Kopf, um sich solch einer Strafe zu unterziehen.«
»Das Gleiche hat sie auch mir gesagt«, warf Christophe ein. Shirley schaute ihn erstaunt an. »Wirklich, meine Kleine.« Er beantwortete ihren überraschten Blick mit einem offenen Lächeln, was selten genug vorkam. »Warum soll man zu Fuß gehen, wenn man auch schlittern kann?«
Sie stellte sich den kleinen, dunklen Knaben vor, wie er das glatte Geländer hinabrutschte, und sie dachte an ihre junge, schöne Mutter, die ihn beobachtete und lachte. Ihre Überraschung löste sich, und sie erwiderte Christophes lächelnden Blick.
Nun wurde ein köstlich schmeckendes, schaumiges Rosinen-Souffle serviert. Dazu gab es trockenen perlenden Champagner. Die Atmosphäre war warm und anheimelnd, und Shirley war beglückt über die leicht dahinfließende Unterhaltung.
Als die kleine Abendgesellschaft sich nach dem Essen in den Salon zurückzog, lehnte Shirley es ab, einen Likör oder Cognac zu trinken. Ihr Wohlbehagen hielt an, und sie führte das zum Teil auf den Wein zurück, den es zu jedem der einzelnen Gänge gab. Zum anderen aber auch auf Christophes heftige Umarmung vor dem Essen, doch sie verdrängte den Gedanken daran. Niemandem schien aufzufallen, wie verträumt sie war, und dass ihre Wangen glühten.
Ihre Sinne schärften sich beinahe unerträglich, als sie der Musik der Summen lauschte: Das tiefe Murmeln der Männer vermischte sich mit den helleren Tönen der Großmutter. Mit sinnlichem Vergnügen sog sie den herben Rauch von Christophes Zigarillo ein, der zu ihr herüberwehte. Ihr Parfüm vermischte sich zart mit dem der Gräfin, und über allem lag der süße Duft der Rosen in den vielen Porzellanvasen.
Als Künstlerin fand sie Gefallen an der wohltuenden Harmonie und Ausgeglichenheit der Szene. Die weiche Beleuchtung, die Nachtbrise, die sich in den Vorhängen fing, das gedämpfte Gläserklirren auf dem Tisch -- all das formte sich zu einem eindrucksvollen Bild, das sie in sich aufnahm und in Gedanken bewahrte.
Die Gräfin hielt auf ihrem Brokatthron herrschaftlich Hof und nippte Pfefferminzlikör aus einem erlesenen goldgeränderten Glas. Tony und Christophe saßen einander gegenüber wie Tag und Nacht, Engel und Teufel. Dieser Vergleich beunruhigte Shirley. Engel und Teufel? wiederholte sie im Stillen und beobachtete die beiden Männer.
Tony, verlässlich
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