Das Schloss in Frankreich
geschworen hatten, geht mich nichts an.«
Die Gräfin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Finger und sah Shirley scharf an. »Sie sind sehr freimütig, nicht wahr?«
»Das stimmt. Trotzdem bin ich bei aller Aufrichtigkeit nicht ungerecht.«
»Das ist richtig«, gab Christophe leise zu.
Die weißen Brauen der Gräfin wölbten sich leicht, ehe sie sich wieder Shirley zuwandte. »Ihre Mutter war einen Monat lang verheiratet, ehe sie schwanger wurde.« Es war eine Feststellung. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht im Geringsten.
»Sie hatten sich heimlich trauen lassen, in irgendeiner kleinen, weiter entfernten Dorfkapelle, mit der Absicht, das Geheimnis zu hüten, bis ihr Vater in der Lage war, Gabrielle mit nach Amerika zu nehmen.«
»Ich verstehe.« Shirley lehnte sich lächelnd zurück. »Meine Existenz löste die Unannehmlichkeiten bedeutend früher aus als erwartet. Aber was taten Sie, Madame, als Sie herausfanden, dass Ihre Tochter verheiratet war und das Kind eines unbedeutenden Künstlers zur Welt bringen würde?«
»Ich verstieß sie und forderte sie beide auf, mein Haus zu verlassen. Von dem Tag an hatte ich keine Tochter mehr.« Sie sprach schnell, als wollte sie sich einer nicht mehr erträglichen Bürde entledigen.
Shirley entfuhr ein leiser Klagelaut, und ihre Augen flüchteten zu Christophe, der sich jedoch hinter einer leeren Maske verschanzte. Sie erhob sich langsam, spürte einen wilden Schmerz, wandte ihrer Großmutter den Rücken zu und betrachtete das sanfte Lächeln auf dem Porträt ihrer Mutter.
»Es überrascht mich nicht, dass meine Eltern Sie aus ihrem Leben getilgt und von mir fern gehalten haben.« Sie drehte sich wieder zu der Gräfin um, deren Gesicht teilnahmslos blieb. Nur die bleichen Wangen zeugten von innerer Bewegung. »Es tut mir Leid für Sie, Madame. Sie haben sich um ein großes Glück betrogen, denn Sie haben sich in die Einsamkeit geflüchtet. Meine Eltern teilten miteinander eine tiefe, alles umfassende Liebe, während Sie sich stolz und gekränkt abkapselten. Meine Mutter hätte Ihnen vergeben. Das wissen Sie sehr gut, sofern Sie sie kannten. Mein Vater hätte Ihnen um meiner Mutter willen verziehen, denn er konnte ihr nie etwas abschlagen.«
»Mir verziehen?« Die bleichen Wangen der Gräfin röteten sich, Zorn bebte in ihrer sonst so beherrschten Stimme. »Habe ich etwa die Vergebung eines gewöhnlichen Diebes nötig und einer Tochter, die ihr Erbe verraten hat?«
Shirleys helle Augen sprühten heiß wie goldene Flammen. Sie verbarg jedoch ihre Erregung und fragte frostig: »Dieb? Madame, wollen Sie damit sagen, dass mein Vater Sie bestohlen hat?«
»Ja, das hat er getan.« Die Stimme war ebenso hart und fest wie die Augen. »Es genügte ihm nicht, mir meine Tochter zu stehlen, die ich mehr liebte als mein Leben. Zu seiner Beute zählte auch eine Madonna von Raphael, die sich seit Generationen im Besitz meiner Familie befand. Beide unbezahlbar, beide unersetzbar, beide an einen Mann verloren, den ich törichterweise in meinem Haus willkommen hieß und dem ich vertraute.«
»Ein Raphael?« Verwirrt strich Shirley sich über die Schläfe. »Sie wollen andeuten, dass mein Vater einen Raphael gestohlen hätte? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Ich deute überhaupt nichts an«, berichtigte die Gräfin und hob den Kopf wie eine Königin, die ein Urteil verkündet. »Ich stelle fest, dass Jonathan Smith meine Tochter Gabrielle und die Madonna geraubt hat. Er war sehr klug. Er kannte meine Absicht, das Gemälde dem Louvre zu schenken, und bot mir an, es zu reinigen. Ich glaubte ihm.« Das kantige Gesicht war wieder grimmig. »Er nutzte mein Vertrauen aus, verblendete meine Tochter gegenüber ihrer Pflichterfüllung und verließ das Schloss mit den beiden Kostbarkeiten.«
»Das ist eine Lüge«, ereiferte sich Shirley. Zorn überwältigte sie mit der Kraft einer Flutwelle. »Mein Vater hätte niemals gestohlen, nie im Leben. Wenn Sie Ihre Tochter verloren haben, dann aufgrund Ihres Hochmuts und Ihrer Blindheit.«
»Und der Raphael?« Die Frage klang nachgiebig, aber sie erfüllte den Raum und hallte von den Wänden wider.
»Ich weiß nicht, was mit Ihrem Raphael geschehen ist.« Shirley blickte von der unbeugsamen Frau auf den teilnahmslosen Mann und fühlte sich sehr verlassen. »Mein Vater hat ihn nicht mitgenommen, er war kein Dieb. Sein Leben lang ist er ehrlich gewesen.« Sie durchquerte den Raum, unterdrückte den Zwang, zu
Weitere Kostenlose Bücher