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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Sogar die Wärter musterten ihn aus dem Augenwinkel und taxierten seine Leistungsfähigkeit. Elf Uhr dreißig.
    Der nächste Appell.
Mittag.
Essen.
    Er aß ohne Appetit, ohne Lust, führte aber nach wie vor so exakt wie möglich Buch über die Kalorien. Die Ernährung wurde hier zu einer Frage des Überlebens. Dank Jimmys tatkräftiger Mithilfe konnte er seine Alltagskost jeden Tag mit einem Stück Obst und einer Zusatzration Zucker und Milch aufbessern.
    Vierzehn Uhr.
Rückkehr in die Werkstätten.
Für ihn war es die Stunde der Siesta. Die schlimmste Zeit desTages. Dann kamen die riesigen Fliegen, von denen es hier wimmelte, und ruinierten die Stille, prallten gegen sein Gesicht, warfen sich auf die Augen. Schläfrig, von der Hitze in eine leblose Larve verwandelt wie alle anderen, streckte sich Jacques auf dem Boden aus, und vor dem grellweißen Hintergrund des Innenhofs verschwammen ihm Menschen und Fliegen in eins.
    Fünfzehn Uhr dreißig.
Neuerlicher Appell.
Nummern werden aufgerufen, Arme heben sich, Gemurmel …Es grenzte an Hypnose. Jacques hingegen erwachte endlich. Dass er sich so hatte gehen lassen, nahm er sich übel. Jetzt spürte er seinen Körper, der gehorchte und voller Leben war zwischen all diesen Zombies. Eine geheime Maschine, die trotz der Hitze, trotz dauernder Beobachtung, trotz der Anwesenheit der anderen reibungslos lief. Er war nicht tot. Und bis zur letzten Sekunde würde er überborden von dieser zuverlässigen – und unbestechlichen – Vitalität.
    Sechzehn Uhr.
Abendessen.
Ab sechzehn Uhr dreißig: freie Zeit.
Frei wovon? In den Innenhof kam Leben, während die Hitzenach und nach ihre Umklammerung lockerte. Jetzt begann das Geschacher. Man tätigte Tauschgeschäfte, verhandelte mit den Wärtern um Vergünstigungen, gönnte sich Kleinigkeiten, die es in einer Art Laden unter einem Vordach zu erstehen gab. Und vor allem beschaffte man sich Stoff. Um diese Stunde führte das Gefängnis seine innere Logik vor, die auf totaler Korruption gründete. Es gab alles, vorausgesetzt, man hatte Kohle oder Waren zum Tauschen. Reverdi hatte mit Jimmy eine Vereinbarung getroffen und konnte über Geld verfügen – aber er nutzte es nicht aus. Seine Wünsche waren nicht mit einem Transistorradio oder einer Tafel Schokolade zu befriedigen. Noch weniger mit Drogen.
    Achtzehn Uhr.
Rückkehr in die Zellen.
Wenn die Tür sich hinter ihm schloss, erstarrte Jacquesungläubig. Hatte er tatsächlich einen ganzen Tag gelebt? Dabei stand das Schlimmste noch bevor: eine zwölfstündige Nacht. Eingeschlossen zwischen vier Mauern ohne die geringste Beschäftigung. In diesen Momenten hasste er seine Zelle. Um diese Zeit stank sie mehr als zu jeder anderen nach Tod und Salpeter. Eine unterirdische, unsichtbare Welt, bestehend aus Ungeziefer, Insekten und Ratten erwartete ihn.
    An diesem Abend warf er unwillkürlich einen Blick zur Fensteröffnung hinauf, durch die ein Abglanz des noch helllichten Tags hereindrang. Er dachte an die Hütte im Bambuswald. Die letzte Kammer. Er dachte daran, wie sehr er versagt hatte, als er der Panik erlegen war, dem …In der Sekunde, als in seinem Geist das Wort »Wahnsinn« entstand, gaben seine Beine unter ihm nach, und er brach auf dem Boden zusammen. Am Fuß der Wand rollte er sich zusammen und unterdrückte das Schluchzen. Er hätte alles gegeben für einen Grund zu leben, zu existieren – und sei es nur für die wenigen Monate, die ihm noch blieben.
    Das Scharren des Riegels ließ ihn aufblicken. Die Zellentür ging auf:
» Jumpa! «
KAPITEL 13
    Jimmy Wong-Fat war in seiner üblichen Montur erschienen: elegantem, aber schlecht sitzendem Anzug, in der einen Hand den roten Aktenkoffer, in der anderen einen Becher Kaffee. Jacques konnte nicht zugeben, dass dieser Fettkloß seine einzige Abwechslung war.
    »Ich habe schlechte Nachrichten«, begann er. »Ich habe einen ersten Bericht der Psychiater aus Kuala Lumpur erhalten, die hier waren, um Sie wegen eines Gegengutachtens zu befragen. Ich hatte mir viel davon erwartet. Aber das Resultat ist negativ: Nach Ansicht der Experten sind Sie geistig gesund. Uneingeschränkt zurechnungsfähig.«»Sagte ich doch.«Jimmy umrundete den Tisch – er schwitzte nicht ganz so stark wie sonst. Jacques war am Boden festgekettet.
»Sie kapieren’s anscheinend nicht«, zischte er. »Wenn ich nicht bald einen Ausweg finde, irgendeinen, ist alles im Eimer. Dann heißt es Todesstrafe!«
Reverdi blieb stumm – es widerstrebte ihm zu wiederholen, was

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