Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Rücksicht. Cornelius erzählte allen, es wäre deine Schuld, dass wir hungerten. Deine Sünden hätten uns verdorben. Es war eine schlimme Zeit.«
Ich presste die Lippen zusammen, stellte mir vor, wie Konrad und Hugo darunter gelitten haben mussten.
Wir stiegen einen Hügel empor, ließen das Dorf hinter uns. Die Landschaft flimmerte in der Sonne. Alles war verdorrt. Sträucher ohne Blätter reckten ihre Zweige der Sonne entgegen. Gelbes, hartes Gras, das selbst die Ziegen verschmähten, wuchs zwischen ihnen. Der Dreck war so heiß, dass meine Fußsohlen schmerzten.
»War Konrad bei ihnen?«
Die Antwort war Lena sichtlich unangenehm. »Er war so etwas wie ein Hofnarr für König Lukas. So nannten wir ihn heimlich. Sie waren unzertrennlich.«
»Und Hugo?«
»Nachdem Konrad zu einem der so genannten Brüder geworden war, hatte Hugo immer weniger mit ihm zu tun. Konrad blieb bei Nicolaus, kümmerte sich um ihn, wenn es …« Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf, als wollte sie die Gedanken vertreiben. »Ich wurde kurz nach dem Sturm krank. Wäre Ott nicht gewesen, meine Gebeine würden jetzt irgendwo am Rande der Alpen vermodern. Er hat mich bis nach Genua getragen.«
Auf der Hügelkuppe blieben wir stehen, atmeten durch und tranken Wasser aus meinem Schlauch. Lena sah sich um, und als sie in unserer Nähe nur ein paar Ziegen entdeckte, riss sie sich die Nonnenhaube vom Kopf.
»Aaah.« Sie hielt ihr Gesicht in den Wind, schüttelte ihr langes Haar und fuhr sich mit beiden Händen hindurch. »O Gott, tut das gut.«
Ich warf einen Blick über das Tal jenseits des Hügels. Eine kleine, aus grauem Stein errichtete Kirche stand in der Senke, umgeben von Feldern, Gärten und Hütten. Nonnen arbeiteten in der sengenden Hitze.
»Was geschah dann?«, fragte ich.
Lena hob die Schultern. »Viele verhungerten in den Bergen. Nur die Brüder schienen stets genug zu essen zu haben. Lukas sagte, der Engel sorge für die Rechtschaffenen. Ich weiß nicht, woher das Essen kam.«
Ich wusste es, schwieg jedoch.
Sie setzte sich auf einen Stein und legte die Haube wieder an. »An mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich war so krank, dass ich Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden konnte. Irgendwann waren wir auf einem Schiff, dann, als immer mehr krank wurden, ließen sie uns hier auf der Insel zurück. Nonnen pflegten uns, aber ich war die Einzige, die überlebte. Fast die Einzige.«
»Was meinst du damit?«
»Das wirst du noch erfahren.« Lena stopfte die letzten Haarsträhnen unter die Haube, dann stand sie auf. »Wie sehe ich aus?«
Ich lächelte. »Wie eine Nonne.«
»Gut.«
Wir gingen auf die Kirche zu. Es wurde heißer, als wir die Talsohle erreichten, wo wir uns einen Weg durch die Ziegen bahnten, von denen es auf der Insel mehr zu geben schien als Menschen. Ein Hirte beobachtete uns von seinem Platz unter einem Baum aus, und die Nonnen sahen auf, als wir uns näherten. Eine ältere rief Lena etwas zu. Es klang barsch.
»Was will sie von dir?«, fragte ich.
»Ich habe sie nicht verstanden.« Lena blieb vor der Kirche stehen und wusch sich Hände und Füße in einem Eimer Wasser. Ich tat es ihr gleich. Das Wasser war lauwarm, Fliegen schwammen darin.
Die schwere Eingangstür knarrte, als Lena sie aufzog. Die Kirche lag im Halbdunkel, Bänke standen vor einem Altar, über dem ein großes Holzkreuz hing. In einer Nische sah ich eine Marien statue, darunter brannten einige Kerzen.
Durch die geöffnete Tür fiel Licht ins Innere der Kirche, während unsere nassen Fußsohlen Spuren auf dem dunklen Holz hinterließen. Neben dem Weihwasserbecken knieten wir nieder und bekreuzigten uns. Dann folgte ich Lena weiter an den Bänken vorbei. Sie bog nach rechts ab.
Ich roch ihn, bevor ich ihn sah. Er stank nach Kot, Urin und Erbrochenem. Die Ketten, die ihn an einem Balken hielten, schnitten in seine Brust. Es sah aus, als wollten sie das Mal auf seiner Haut durchschneiden.
Seine Rippen standen hervor, seine nackten Gliedmaßen schienen nur noch aus Knochen und Gelenken zu bestehen. Das linke Bein war nach innen gedreht, der Fuß verkrampft. Sein Kopf hing schlaff nach vorn. Er trug einen Lendenschurz. Unter ihm trocknete eine Pfütze aus Urin.
»Er isst nichts«, sagte Lena leise. »Und wenn ich doch mal etwas in ihn hineinkriege, kommt es sofort wieder raus.«
Ich blieb vor ihm stehen. »Nicolaus …«
Sein Kopf zuckte und sank wieder nach vorn.
»Am Anfang hatte er noch gute und schlechte Tage, doch
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