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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Wassereimer lagen. »So schlimm war es noch nie«, sagte sie.
    Ich nahm ihr das Tuch aus der Hand und wischte Nicolaus das Blut vom Kinn. Einer seiner Mundwinkel hing nach unten, und sein ganzes Gesicht verschob sich immer mehr, bis eine Seite tiefer als die andere war.
    Er begann zu weinen, und blutige Tränen tropften aus seinem schielenden Auge, das andere blieb trocken. Dabei lachte er mit rot verschmierten Zähnen. Er zuckte, Krämpfe durchliefen seinen Körper. Sein Atem ging stoßweise, als würde er ertrinken.
    Wir nahmen ihn in die Arme und weinten ebenfalls. Nach einer Weile ließen die Krämpfe nach, sein Atem wurde flach und unregelmäßig.
    Gemeinsam lösten Lena und ich seine Ketten und legten ihn sanft auf den Boden. Er wog weniger als ein kleines Kind.
    Und dann warteten wir. Als die Sonne unterging, hörte Nicolaus auf zu atmen.
    Wir reinigten seinen Leib mit dem Wasser aus dem Eimer. Ich tupfte die Verletzungen auf seiner Brust ab, während Lena seine Beine wusch.
    Als ich das Tuch auswringen wollte, sah ich dunkelrote Spuren daran. Es war die Farbe seines Mals.
    Ich strich mit einer sauberen Seite des Tuchs noch einmal darüber und sah die gleiche Spur. Das Mal löste sich von seiner Haut. Es war nicht echt, kein göttliches Zeichen, nur Farbe.
    Aus den Augenwinkeln warf ich Lena einen Blick zu. Sie hatte nichts gemerkt.
    »Holst du ein Totenhemd?«, fragte ich.
    Sie nickte, verschwand durch eine Seitentür und kehrte kurz darauf mit einem großen Tuch zurück. Wir wickelten Nicolaus darin ein und bahrten ihn vor dem Altar auf.
    »Er war ein wahrer Diener Gottes«, sagte Lena.
    »Wir werden nie erfahren, was er war«, sagte ich und drehte mich um, als sich jemand hinter mir räusperte.
    Diego stand in der offenen Tür. Ich wusste nicht, wie lange er sich schon dort befand.
    »Wir müssen gehen«, sagte er.
    Ich nickte. »Du kannst mit uns kommen, wenn du möchtest«, sagte ich zu Lena.
    Sie aber schüttelte den Kopf, so wie ich es erwartet hatte. »Nein, ich werde hier meinen Platz finden.«
    Wir umarmten und verabschiedeten uns, dann verließ ich mit Diego die Kirche.
    Auf dem Rückweg war ich sehr still.

Kapitel 29
    Wir sprachen viel über Nicolaus, über das, was er gewesen sein könnte, über das, was wir von ihm wussten. Antworten auf all die offenen Fragen fanden wir keine, aber es vertrieb die Zeit.
    Wir verbrachten Wochen auf dem Wasser und legten an so vielen Häfen an, dass ich mich an kaum einen Namen mehr erinnern kann und die Erfahrungen sich vermischen wie in einem Traum. Ich sah wundersame und schreckliche Dinge, Kamele, auf denen bunt gekleidete Männer saßen, Delfine, die mit unserem Schiff um die Wette schwammen, und Ungeheuer mit Tentakeln lang wie Arme. Ich aß Datteln und Oliven, trank starken süßen Tee, der mein Herz zum Hämmern brachte. Manchmal vergaß ich, weshalb wir eigentlich unterwegs waren, in anderen Nächten lag ich lange wach und fragte mich, was Konrad und Hugo gerade taten.
    Die Waren und Menschen an Bord wurden weniger. Nach ein paar Wochen hätten wir uns bessere Plätze aussuchen können, doch wir blieben zwischen den Stoffballen, um den Soldaten nicht zu nahe zu kommen. Sie waren gefährlich, wenn sie getrunken hatten, und sie tranken oft.
    Dann, eines Morgens, weckte mich Diego. »Wir sind da«, sagte er.
    Ich sprang so schnell auf, dass mir für einen Moment schwindelig wurde. Mein Haar war zerzaust, die Kleidung zerknittert. Ich legte mir einen Schal über den Kopf, um die Soldaten nicht zu provozieren, dann lief ich zur Reling.
    Vor mir lag eine Küste, die sich kaum von denen unterschied, die ich in den letzten Tagen gesehen hatte: Sie war felsig, mit Sträuchern und Büschen bewachsen. Den Hafen umgab eine kleine Siedlung, große Schiffe dümpelten im Wasser, Fischer fuhren zwischen ihnen hindurch und boten ihren Fang den Matrosen auf den Decks an.
    Weit hinter ihnen, im Schatten dunkler Wolken, die über den Bergen aufzogen, erstreckte sich eine immer wieder von Türmen unterbrochene hohe Mauer. Sie zog sich über die Berghänge und Gipfel hinweg wie eine riesige graue Schlange.
    Unser Schiff legte an. Wir verabschiedeten uns vom Kapitän und den Matrosen, dann gingen wir rasch an Land, während die Soldaten noch ihre Sachen zusammensuchten.
    Die Siedlung war klein, aber auf Reisende eingestellt. Wir kauften zwei Pferde von einem einbeinigen Händler. Er beschrieb uns den Weg zur Stadt.
    »Die Kreuzfahrer haben Antioch vor ein paar Jahrzehnten den

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