Das sechste Opfer (German Edition)
mir eine ruhige, versteckte Ecke in einem kleinen Park und genoss die billigsten Schokoriegel, die ich bei meinem Einkauf finden konnte, als wären sie ein 5-Gänge-Menü. Dazu gab es Wasser aus dem Tetra-Pak und einen Kaugummi.
Nachdem ich die Nacht im Kellereingang eines Hauses verbracht hatte, fühlte ich mich bei dem Geschmack von Pfefferminz wenigstens etwas frisch und spritzig. Sobald ich fertig war, schlug ich meinen Mantelkragen hoch und ging die belebte Hauptstraße des Viertels hinunter, auf der Suche nach einer Toilette. Schließlich betrat ich einen Dönerladen, dessen arabisch aussehender Besitzer mich kaum aus den Augenwinkeln ansah, und verschwand für eine halbe Stunde auf der winzigen Toilette, wo ich mir die Haare abrasierte. Es ging nicht anders. Meine blond gefärbten Haare waren inzwischen zu deutlich und markant. Jeder konnte mich so identifizieren. Ich stutzte mir das wildwachsende Gestrüpp in meinem Gesicht zu einem modischen Bärtchen und wartete geschlagene fünfzehn Minuten, bis die vielen Schnittwunden, die ich mir dabei zugefügt hatte, endlich aufhörten zu bluten. Da ich mir keinen Rasierschaum leisten konnte, musste ich mit Seife vorlieb nehmen, was bei einer Rasur alles andere als von Vorteil war. Aber schließlich war ich fertig für die Welt. Ich ging hinaus, warf dem Dönermann einen munteren Gruß zu, obwohl der noch immer kaum Notiz von mir nahm, und steuerte die nächste Telefonzelle an. Unterwegs gab ich meine Jacke einem Bettler am Straßenrand, denn die war mit Sicherheit auch inzwischen jedem bekannt.
Mein erster Anruf galt Nicole in Rostock. Nach Tagen war dies mein erster Anruf bei ihr. Sie war dieses Mal sofort am Telefon.
»Peter! Wo steckst du? Was machst du? Geht es dir gut?«
Sie klang erschreckend besorgt.
Ich wollte sie jedoch nicht noch mehr aufregen und außerdem wusste ich nicht, wie ich mit ihr umgehen sollte, weshalb ich mich in Ironie flüchtete.
»Es geht mir fantastisch, Schatz. Es ist großartig, auf der Flucht zu sein. Man lernt eine Menge interessante Menschen kennen und ein paar Pfund hab ich auch verloren. Besser als jedes Fitnesstraining.«
»Peter, was ist nur los?« Sie fing an zu weinen. »Du bist in allen Nachrichten und eine Meldung ist schlimmer als die andere.«
»Und wie ist es so, mit einer Berühmtheit verheiratet zu sein?«
Meine Taktik funktionierte. Sie fing sich sofort wieder und wurde ärgerlich.
»Lass den Quatsch, Peter. Rede normal mit mir, was soll das? Es ist beschissen, mit so einer Berühmtheit verheiratet zu sein, falls du das wirklich wissen willst. Du hast doch nicht wirklich alles getan, was sie dir vorwerfen?«
»Ein paar kleinere Sachen schon, aber nicht alles.«
»Oh Gott.«
»Wenn sich alles aufklärt, wirst du sehen, dass alles halb so schlimm ist.«
Falls sich jemals alles aufklären sollte. Ich war auf einmal selbst den Tränen nahe.
»Peter? Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Nein, ich denke nicht.«
»Hat das was mit dem Buch zu tun, an dem du mit Franz gearbeitet hast? Fing das damit an?«
Ich musste sie da unbedingt raushalten, sie durfte nichts wissen. Ich hätte ihr niemals davon erzählen dürfen. Schnell schluckte ich den Anflug von Tränen wieder hinunter. »Nein, das waren nur Hirngespinste. Das ist was anderes.«
»Ich komm morgen zurück nach Berlin, dann werden wir sehen, was ich für dich tun kann.«
Ich schrie jetzt fast ins Telefon: »Nein! Nicht! Bleib, wo du bist.« Sie durfte auf keinen Fall nach Berlin kommen, denn hier war sie in Gefahr. Wer weiß, was sie ihr antun würden, nur weil sie mit mir sprach!
»Was ist nur los, Peter?« Ich hörte, wie ihre Stimme wieder dick und feucht von Tränen wurde. »Was ist nur passiert? Wie konnte es nur dazu kommen?«
»Ich erkläre es dir, wenn ich den Grund und die Ursache gefunden habe.«
»Und dann gibt es endlich keine Lügengeschichten mehr?«
»Dann gibt es keine Lügengeschichten mehr.«
Es war still am anderen Ende der Leitung. Plötzlich flüsterte sie: »Ich muss auflegen, Peter.«
Das war die Warnung für mich. Sie saßen da und hörten mit.
»Okay. Bitte sag mir noch, wann Franz' Beerdigung morgen ist. Mehr nicht.«
»Du kannst da nicht hin!« Noch mehr Warnung in ihrer Stimme.
»Wann ist sie?«
»Um neun. Ich werde nun auch nicht kommen, wenn du sagst, dass ich hier bleiben soll. Der arme Franz.«
Ich musste aufhören. »Ich liebe dich, es wird sich hoffentlich bald alles aufklären.«
»Ich liebe dich auch. Viel Glück.«
Dann legte sie
Weitere Kostenlose Bücher