Das sechste Opfer (German Edition)
hielt sich im Schlafzimmer auf und packte ihre Sachen in ein paar Koffer. Ihr Gesicht war gerötet und ihre Augen verquollen. Ich war völlig perplex.
»Was machst du hier?«
Sie sah mich nicht an, sondern packte weiter. Ihre Stimme klang gepresst. »Wonach sieht es denn aus?«
»Wohin willst du?«
»Weg von dir.«
»Was?«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Was ist denn los?«
»Das fragst du noch, du Mistkerl? Tischst mir eine Lüge nach der anderen auf, versprichst dann hoch und heilig, es sei die letzte gewesen. Aber dann kommt es noch besser.«
Fieberhaft überlegte ich, was sie so wütend gemacht haben könnte, aber mir fiel nichts ein. »Ist es noch wegen des Einbruchs? Nicole, ich geh zur Polizei, wenn du willst.«
Sie schniefte verächtlich und warf ein Kleid in den Koffer. Ich zog es wieder heraus.
»Rede mit mir, Nicole. Was ist denn los?«
Sie blickte auf und sah mich hasserfüllten Augen an. »Du kannst doch froh sein, wenn ich weg bin, dann kannst du ungehindert zu deiner Geliebten von nebenan gehen.«
Mir wurde übel. »Was?«
»Was?«, äffte sie mich nach und riss mir das Kleid aus der Hand. »Ja, genau. Deine kleine Freundin war nämlich vorhin hier und hat mir alles erzählt. Sie kann nicht mehr damit leben, hat sie gesagt. Deshalb wolltest du neulich nicht mit zum Klassentreffen. Und ich war so naiv und habe dir geglaubt.« Sie schnaubte vor Verachtung für sich.
Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Clara hatte Nicole von uns erzählt? Warum? War sie gekränkt, weil ich sie schon lange nicht mehr besucht hatte? Ich hatte es versucht, aber sie hatte nicht geöffnet. Außerdem hatten wir alles geklärt zwischen uns. Es gab eigentlich keinen Grund, zu Nicole zu gehen und ihr von unserem Abenteuer zu erzählen.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und stellte mich dumm. »Was meinst du?«
»Frag nicht so dumm! Du hast mit ihr geschlafen, und mich betrogen und belogen, nach Strich und Faden. Du elender Mistkerl.«
Sie steckte das Kleid wütend in den Koffer, während sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken.
In meinem Hals schien ein riesiger Kloß zu sitzen, der mir das Sprechen erschwerte. Aber ich musste es jetzt zugeben.
»Es ist passiert, es war ein Ausrutscher. Es tut mir leid.«
Meine Worte klangen leer und hohl, aber ich wusste nicht, wie ich es sonst erklären sollte.
Nicole schwieg und packte weiter.
»Nicole, ich kann es nicht ungeschehen machen, aber ich schwöre dir, ich habe es weder geplant noch irgendwie forciert. Und es ist vorbei. Ich hab sie seit Wochen nicht mehr gesehen, außer in deiner Gegenwart.«
»Ich glaube dir deine Lügen nicht mehr.«
Sie wischte mit dem Handrücken über ihre Augen und packte weiter.
»Nicole. Es tut mir leid!«
Nicole legte schweigend ihre Hosen in den Koffer und klappte ihn dann zu.
Dann nahm sie die vollen Taschen und wollte das Schlafzimmer verlassen.
»Nicole.« Ich versuchte ihr den Weg zu versperren. »Wo willst du denn hin? Es ist vorbei mit Clara, ich schwöre es dir! Und nun gibt es wirklich keine Geheimnisse mehr.«
»Das ist mir egal. Geh mir aus dem Weg.«
Sie rammte mir einen Koffer gegen das Knie, so dass ich zur Seite weichen musste. »Ich bin bei meinen Eltern, aber wehe, du rufst mich dort an. Lass mich einfach in Ruhe.«
Sie begann zu weinen. Es brach mir fast das Herz, sie so zu sehen. Aber ich fühlte mich so hilflos, machtlos und klein in diesem Moment. Ich hatte Mist gebaut und nun bekam ich die Quittung.
»Geh nicht weg, Nicole. Lass uns drüber reden.« Meine Stimme wurde flehend.
»Da gibt es nichts zu reden. Nicht jetzt.«
Sie öffnete die Wohnungstür und ich glaubte, ein winziges Zögern zu bemerken, als sie hinausging. Ich rief noch einmal ihren Namen, doch es hatte keinen Zweck. Sie schlug die Wohnungstür hinter sich zu und war verschwunden.
Wie eine Salzsäule stand ich in meiner Wohnung herum, während es in meinem Kopf ratterte und rotierte. Wieso hatte Clara das getan? Warum hatte sie mich verraten? Mir fiel als Grund nur verletzte Eitelkeit ein. Sie war gekränkt, weil ich sie über meine Recherchen völlig vergessen hatte. Oder sie hatte es sich plötzlich anders überlegt und wollte mich ganz für sich allein haben.
Ich war wütend auf Clara. Und auf mich. Mein kleiner heißer Flirt entpuppte sich nun als verhängnisvolle Affäre, die mein ganzes Leben in einen Abgrund zu stürzen drohte.
Aufgebracht stürmte ich aus der Wohnung zu Claras Tür, um dort wie ein Wilder zu klingeln. Doch sie reagierte
Weitere Kostenlose Bücher