Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
schnauften und stapften hinter dem Leittier einher. Dex hatte eine breite Straße gewählt, die zwischen mächtigen Säulen angelegt worden war, deren Kapitelle sich irgendwo in der Höhe trafen. Die Lichtstrahlen der Leuchtdiamanten konnten lediglich einen kleinen Teil der Umgebung erhellen und vermittelten kaum einen Eindruck der tatsächlichen Ausmaße des unterirdischen Labyrinths.
Bis auf die Geräusche der Tiere war es totenstill. Es war, als lausche die endlose Stille dem ungewohnten Treiben mit feindseliger Neugier, als sei etwas Unerwünschtes in ihr Reich eingedrungen, das ihre seit Jahrhunderten währende Herrschaft bedrohte.
Die Straße gabelte sich in fünf Verzweigungen auf, die sich abermals teilten und in verschiedene Richtungen und Ebenen führten. Dex ritt, ohne zu zögern, in einen der Tunnel hinein.
»He, Dex«, rief Harrid, der die Nachhut der Gruppe bildete. »Wenn du noch nie hier unten warst, woher weißt du, welchen Weg wir einschlagen müssen? Traust du dir nicht ein wenig zu viel zu?«
Der Fisk-Hai hielt es nicht für nötig, den Kopf zu wenden, als er antwortete. »Ich mag in deinen Augen nicht sehr geeignet für diese Aufgabe sein, um die ich – nebenbei bemerkt – nicht gebeten habe. Natürlich habe ich die ganze Nacht über die Karten des Labyrinths studiert und mir alles genau eingeprägt.«
»Das heißt, du hast nicht geschlafen?«, fragte Tenan erstaunt.
Dex spuckte verächtlich aus. »Schlaf ist etwas, das die Fisk-Hai selten brauchen. Schließlich sind wir keine Menschen! Wenn es sein muss, können wir tage- und nächtelang wach bleiben.«
»Bestens«, gab Harrid erfreut zurück. »Dann kannst du ja die Nachtwachen übernehmen.«
»Hast du wirklich geglaubt, dass ich die einem von euch überlassen hätte?«
Der Fisk-Hai gab seinem Tier die Sporen und zwang so auch die anderen, schneller zu reiten. Bald schon zweigte die Route in einen Nebengang ab, der nicht weniger breit und großzügig angelegt war. Der einzige Unterschied war, dass er in einer leichten Steigung nach oben führte. Sie kamen an weitläufigen Hallen und Räumen vorbei, die leer und verlassen dalagen.
»Wer hat diese Hallen erbaut? Sie gehören nicht mehr zu Atala, nicht wahr?«, erkundigte sich Tenan.
Dex rümpfte die Nase, soweit eine solche bei ihm vorhanden war. »Natürlich gehört das Labyrinth nicht zum Reich der Fisk-Hai«, knurrte er. »Es bestand schon viele tausend Jahre vorher. Man sagt, die Lingaia hätten es erbaut, als die Welt noch jung war.«
»Die Lingaia?«
Dex schüttelte ärgerlich den Kopf. »Bei den Göttern von Halfarth! Wo bist du nur aufgewachsen? Haben dir deine Lehrer nie etwas von den Lingaia erzählt?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Die Lingaia sind die Erbauer der Welt. Sie formten die Inseln Algarads, gaben allen Lebewesen ihre Gestalt und ihre Bestimmung. Irgendwann, so geht die Sage, zogen sie sich aus der Welt zurück, um im Verborgenen zu leben, unter der Erdoberfläche, in prächtigen Hallen wie diesen hier.«
»Was ist aus ihnen geworden? Die Hallen scheinen schon seit langem verlassen.«
»Das weiß keiner«, antwortete Dex. »Seit das Reich von Atala gegründet wurde, lebte niemand mehr in dem Labyrinth.«
»Jedenfalls scheinen die früheren Bewohner wahre Riesen gewesen zu sein«, sagte Harrid beeindruckt. »Seht euch diese Steinsessel an!«
In der Tat tauchten aus der Schwärze riesige graue Sessel auf, viel zu groß für einen normalen Sterblichen. Die damaligen Bewohner mussten gut das Doppelte der Größe eines Menschen gehabt haben. Die Sessel wirkten wie Throne und standen in langen Reihen zu beiden Seiten der Straße.
»Was für eine seltsame Bauart diesem Labyrinth zugrunde liegt«, sagte Eilenna. »Alles wirkt irgendwie zusammenhanglos und verworren. Als ob die Bewohner nicht ganz wussten, was sie mit dem Platz anfangen sollten.«
»Sag ruhig, was du in Wirklichkeit denkst: Sie waren verrückt«, meinte Chast.
Die Architektur mutete tatsächlich immer seltsamer an. Hier erhob sich eine Säule, die kein Gewölbe trug, da das Wasserbecken eines Brunnens, dort ein unvermutet auftauchender Torbogen, der ins Leere führte.
Sie ritten weiter, stundenlang. Durch hohe Hallen, breite Gänge, vorbei an schwarzen Seen, entlang an gefrorenen unterirdischen Wasserläufen und Flüssen.
Wie Dex am Beginn ihrer Reise angedroht hatte, verlor Tenan schon bald jegliches Zeitgefühl. Ihm war, als könne er den dumpfen Pulsschlag der Erde spüren. Oder war es
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