Das Silmarillion
Saurons bösem Vorhaben Meldung erhielt, war er von Herzen bekümmert, denn er wusste, am Ende würde Sauron gewiss seinen Willen haben. Er sprach nun zu Elendil und seinen Söhnen über die Geschichte der Bäume von Valinor; und Isildur sagte nicht ein Wort, doch nachts ging er und leistete eine Tat, für die er später gerühmt wurde. Denn allein und in Verkleidung drang er in die Königsgärten von Armenelos ein, die zu betreten den Getreuen nun verwehrt war. Und er trat zu dem Baum, was auf Saurons Befehl für jedermann verboten war, und Tag und Nacht wurde der Baum von Saurons Dienern bewacht. Zu jener Zeit war Nimloth dunkel und trug keine Blüten, denn es war spät im Herbst, und sein Winter war nah. Und Isildur schlich zwischen den Wachen hindurch und brach eine Frucht, die an dem Baume hing, und wandte sich zum Gehen. Aber die Wächter hatten ihn bemerkt und stürzten sich auf ihn, und er schlug sich nach draußen durch, schwer verwundet. Er entkam, und weil er verkleidet war, blieb unentdeckt, wer er war, der an den Baum Hand gelegt hatte. Isildur aber gelangte zuletzt nach Rómenna zurück, und kaum hatte er die Frucht Amandil übergeben, als ihn die Kräfte verließen. Dann wurde die Frucht heimlich eingepflanzt, und Amandil segnete sie; und ein Schössling wuchs aus ihr empor und trieb Knospen im Frühling. Als sich aber das erste Blatt öffnete, da erhob sich Isildur, der lange auf den Tod darniedergelegen hatte, und seine Wunden behelligten ihn nicht mehr.
Nicht zu früh hatte er dies getan, denn nach diesem Vorfall gab der König Sauron nach und ließ den Weißen Baum fällen; und nun wandte er sich ganz von dem Bündnis seiner Väter ab. Sauron aber ließ auf dem Hügel mitten in der Stadt der Númenórer, Armenelos der Goldenen, einen gewaltigen Tempel erbauen; und der war kreisförmig am Grunde, und dort waren die Mauern fünfzig Fuß dick, und die Grundfläche maß fünfhundert Fuß durch die Mitte, und die Wände stiegen fünfhundert Fuß hoch über den Boden auf und wurden von einer mächtigen Kuppel gekrönt. Ganz von Silber war die Kuppel und erhob sich schimmernd in der Sonne, und weithin sah man sie leuchten; bald aber wurde ihr Glanz stumpf, und das Silber schwärzte sich. Denn inmitten des Tempels war ein Feueraltar, und im Gipfelpunkt der Kuppel war ein Abzug, woraus eine mächtige Rauchwolke aufstieg. Und das erste Feuer auf dem Altar entfachte Sauron mit dem Holz des abgehauenen Nimloth, und es knisterte und verbrannte; den Menschen aber wurde beklommen von dem Dunste, der davon aufstieg, so dass sieben Tage lang das Land unter einer Wolke lag, bis sie langsam nach Westen abzog.
Von nun an stiegen Feuer und Rauch auf ohne Unterlass; denn Saurons Macht wuchs mit jedem Tag, und mit Blutvergießen, Martern und großer Verruchtheit brachten die Menschen im Tempel dem Melkor Opfer dar, dass er sie vom Tod erlöse. Und unter den Getreuen wählten sie die meisten Opfer, doch ohne ihnen offen zur Last zu legen, dass sie Melkor, den Befreier, nicht ehrten; vielmehr schob man andre Klagen gegen sie vor, dass sie den König hassten und gegen ihn rebellierten oder dass sie sich gegen ihr Volk verschworen hätten und Lügen und Gift ausstreuten. Wenig Wahres war an diesen Klagen; doch es waren bittre Tage, und Hass erzeugt Hass.
All dies aber trieb den Tod nicht aus dem Land, vielmehr kam er nun früher und öfter und in hundert Schreckensgestalten. Denn während einstmals die Menschen langsam alt wurden und sich am Ende, der Welt müde, zum Schlafe legten, so fielen jetzt Wahnsinn und Krankheit über sie her; und sie fürchteten sich, zu sterben und ins Dunkel zu treten, ins Reich jenes Herrn, den sie sich erwählt hatten; und im Todeskampf verfluchten sie sich selbst. Und Männer griffen zu den Waffen in jenen Tagen und erschlugen einander aus nichtigem Grund; denn sie waren jähzornig geworden, und Sauron oder jene, die er an sich gebunden, gingen im Land um und hetzten Mann gegen Mann auf, so dass das Volk gegen den König und gegen die Edlen murrte und gegen jeden, der etwas besaß, das es nicht besaß; und die Mächtigen übten grausame Rache.
Dennoch schien es den Númenórern lange Zeit, dass sie wohl gediehen, und wenn sie schon nicht glücklicher wurden, so wurden sie doch noch stärker, und ihre Reichen wurden immer reicher. Denn mit Saurons Rat und Hilfe mehrten sie ihren Besitz, und sie bauten Maschinen und immer größere Schiffe. Und nach Mittelerde fuhren sie nun nur noch
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