Das Silmarillion
leisten könne, da er die Edain für immer los war, da wurde er aus seiner Freude gerissen, und sein Thron und sein ganzer Tempel stürzten in den Abgrund. Doch Sauron war nicht von sterblichem Fleische, und wenn er auch nun jener Gestalt, in der er so viel Unheil gewirkt, beraubt wurde und nie wieder den Menschen freundlich vor Augen zu treten vermochte, so stiegdoch sein Geist wieder aus der Tiefe empor und fuhr wie ein Schatten und schwarzer Wind übers Meer, zurück nach Mittelerde und seiner Heimstatt in Mordor. Er nahm seinen Großen Ring in Barad-dûr wieder auf und hauste dort, stumm und dunkel, bis er sich eine neue Gestalt gegeben hatte, das unverhüllte Bild von Hass und Tücke; und dem Auge Saurons des Grausamen hielten wenige stand.
Doch von diesen Dingen ist nicht die Rede in der Geschichte vom Untergang Númenors, wovon nun alles berichtet ist. Und selbst der Name dieses Landes ging unter, und die Menschen sprachen später nicht mehr von Elenna noch von Andor, der Gabe, die wieder genommen wurde, noch von Númenórern an den Grenzen der Welt; die Flüchtlinge an den Meeresküsten aber, wenn sie sich sehnenden Herzens nach Westen wandten, sprachen von Mar-nu-Falmar, der von den Wogen Überwältigten, von Akallabêth, der Versunkenen, Atalante in der Hochsprache der Elben.
Unter den Flüchtlingen glaubten viele, der Gipfel des Meneltarma, des Himmelspfeilers, sei nicht für immer versunken, sondern erhebe sich wieder über die Wellen, eine einsame Insel, verloren in den weiten Wassern; dies nämlich war eine heilige Stätte gewesen, und selbst in Saurons Tagen hatte sie niemand entweiht. Und aus Earendils Geschlecht kam so mancher, der später nach dieser Insel suchte, denn unter den Weisen hieß es, vom Meneltarma hätten die weitsichtigen Menschen von einst einen Schimmer des Unsterblichen Landes zu sehen vermocht. Auch nach dem Untergang blieben die Herzen der Dúnedain immer nach Westen gekehrt; und wenn sie gleich wussten, dass die Welt anders geworden war, so sagten sie doch: »Avallóne ist von der Erde verschwunden, und das Land Aman ist entrückt, und in diesem Dunkel der Welt sind sie jetzt nicht mehr zu finden. Doch einst waren sie da, und deshalb sind sie noch immer da, im wahren Dasein und in der echten Gestalt der Welt, so wie sie im Anfang erschaffen wurde.«
Denn die Dúnedain glaubten, dass selbst sterbliche Menschen, wenn es ihr Segen so wolle, andre Zeiten erblicken könnten als die Lebzeiten ihres Leibes; und immer war es ihre Sehnsucht, aus den Schatten ihres Exils zu fliehen und auf irgendeinem Wege an das Licht zu kommen, das nicht stirbt; und das Leid, an den Tod zu denken, war ihnen über die Tiefen der See gefolgt. So kam es, dass große Seefahrer unter ihnen noch immer die leeren Meere absuchten, in der Hoffnung, die Insel des Meneltarma zu finden und dort ein Gesicht der Dinge von einst zu sehen. Aber sie fanden sie nicht. Und jene, die weit fuhren, kamen bloß zu den neuen Ländern und fanden, sie waren wie die alten und kannten den Tod. Und jene, die am weitesten fuhren, beschrieben bloß einen Kreis um die Erde und kehrten am Ende müde wieder dahin zurück, wo sie abgefahren; und sie sagten: »Alle Wege sind krumm heutzutage.«
In späteren Tagen erfuhren so die Könige der Menschen, ob von Schiffsreisenden, ob durch Wissenschaft und Sternkunde, dass die Welt tatsächlich rund geschaffen sei, und doch war es den Eldar noch erlaubt, aus ihr zu scheiden und in den Alten Westen und nach Avallóne zu fahren, wenn sie es wollten. Daher sagten die Weisen unter den Menschen, noch immer müsse es einen Geraden Weg geben für jene, denen erlaubt sei, ihn zu finden. Und sie lehrten, dass der alte Weg, der Pfad der Erinnerung an den Westen, während die neue Welt unter ihm versinke, immer weiter geradeaus führe, wie eine mächtige unsichtbare Brücke durch die Luft des Atems und des Fluges (die nun ebenso krumm sei wiedie übrige Welt), und Ilmen durchquere, was der ungeschützte Leib nicht ertrage, bis sie nach Tol Eressea, der Einsamen Insel, und vielleicht noch weiter, nach Valinor komme, wo noch immer die Valar wohnen und dem Lauf der Geschichte zusehen. Und Erzählungen und Gerüchte gingen um an den Meeresküsten, von Seeleuten und auf dem Wasser Verirrten, die ihr Schicksal oder eine Gunst oder Gnade der Valar auf den Geraden Weg geführt hatten, wo sie das Angesicht der Welt unter sich versinken sahen; und so waren sie zu den lampenhellen Kaien von Avallóne gekommen
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