Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Warum?«
Julian schüttelte den Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen. Du hast ja auch deine kleinen Geheimnisse, nicht wahr? Oder willst du leugnen, dass du weißt, was es mit Edmunds und Megans plötzlicher Heirat auf sich hatte?«
»Nein.« Es klang schuldbewusst.
»Und du warst von der Todesnachricht so wenig überrascht wie Megan, nicht wahr? Du hättest mich vorwarnen können. Ihr hättet ihn vorwarnen können, verflucht noch mal! Sei versichert, er hat seinen Tod nicht vorausgeahnt. Und es hat ihm schwer zu schaffen gemacht, dass er nicht besser darauf vorbereitet war und nicht …«
»Was redest du da?«, fiel sie ihm ins Wort. »Julian, um Himmels willen, was ist in dich gefahren?« Sie stand auf, trat zu ihm, nahm ihn bei den Händen und sah ihm ins Gesicht. »Weder Megan noch ich hatten die geringste Ahnung, dass das passieren würde. Woher denn auch? Ich bin überzeugt, es war furchtbar, Edmund sterben zu sehen, aber du hast kein Recht, so zu tun, als treffe es dich härter als alle anderen.«
Er machte sich ungeduldig los. »Wie deine schwesterlichen Ermahnungen mir gefehlt haben …«
Es war einen Moment still. Zorn, Trauer, Vorwürfe und Geheimnisse drohten sich plötzlich zu einer Mauer aufzutürmen, so hoch, dass Julian fürchtete, seine Schwester aus den Augen zu verlieren. Aber das wollte er nicht. Er nahm sich zusammen und setzte sich an den Tisch, auf welchem Brot, kaltes Pökelfleisch und warmer Cider standen. Julian füllte sich einen Teller, um zu beweisen, wie gelassen er war. Hungerverspürte er nicht. »Wie zum Henker kommst du überhaupt hierher, Blanche?«
»Das ist noch eine traurige Geschichte«, warnte sie.
»Aber wo ist dein Mann?«
»In Lydminster, nehme ich an. Auf seinem Gut, wenn er Glück gehabt hat, auf dem Friedhof, wenn nicht.«
»Heiliger Georg …« Julian wurde von den schlimmsten Befürchtungen beschlichen. »Was hast du getan?«
Sie setzte sich zu ihm, nahm ihr Strickzeug auf den Schoß, und während er frühstückte, erzählte sie ihm eine Schauergeschichte, die selbst für Blanches Verhältnisse haarsträubend war.
Sein ohnehin matter Appetit verließ ihn bald, aber er hatte einen Becher starken Cider geleert, bis sie zu der Stelle kam, als sie ihrem Gemahl die Hand abgehackt hatte.
Julian schenkte sich nach.
Schockiert betrachtete er seine Schwester. Die Erkenntnis, dass selbst der vertrauteste Mensch plötzlich ein völlig Fremder sein konnte, war neu für ihn, und sie machte ihm zu schaffen. Scheinbar seelenruhig saß Blanche auf ihrem Hocker an seiner Seite, werkelte mit vier Nadeln und einem Knäuel ungefärbten Garns an etwas herum, das aussah, als wolle es eine wollene Konfektschale werden, und beschrieb ihm, wie die Kralle auf dem festgestampften Lehmboden des Stalls ausgesehen hatte.
Sie schaute nicht auf, als sie geendet hatte, sondern strickte unbeirrt weiter. Julian ahnte, dass sie sich schämte.
Dutzende Gedanken schossen ihm durch den Kopf; er hatte das Gefühl, alles breche auseinander. Egal ob Thomas Devereux gestorben war oder nicht, sowohl der König als auch der Duke of York würden fuchsteufelswild sein, wenn sie von dieser Geschichte erfuhren. Vermutlich hatten sie das längst, ging ihm auf. Seine ohnehin prekäre Lage in England hatte sich nicht gerade gebessert.
Seit Julian der Earl of Waringham geworden war, lastete die Familienehre auf ihm wie ein Joch. Früher war er sich kaum bewusst gewesen, dass es sie gab. Heute bestimmte sie zu einemnicht geringen Teil sein Handeln, und Blanche hatte sie mit Füßen getreten. Das nahm er ihr übel. Aber gleichzeitig wusste er, dass seine Missbilligung selbstsüchtig war. Er kannte seine Schwester gut genug, um zu wissen, dass Thomas Devereux ihr Furchtbares angetan haben musste, um sie so weit zu treiben. Und da er in Carmarthen den Bruder seines Schwagers kennen gelernt hatte, konnte er das mühelos glauben. Wie verzweifelt sie gewesen sein musste. Und wie allein. Die Vorstellung lag wie ein Bleigewicht auf seiner Brust.
»Sag mal, Blanche, was machst du da eigentlich?«
Sie schaute auf und hielt ihm ihr Strickzeug zur Begutachtung hin. »Eine Mütze für Megans Baby. Es ist jetzt schon so kalt hier. Das Kind kommt aber erst im Winter. Jedenfalls glauben wir das – Megan ist sich nicht sicher. Sie … wusste vor ihrer Hochzeitsnacht nicht, wie die Kinder in die Welt kommen, und sie weiß immer noch nicht viel darüber. Nicht genug, um zurückzurechnen. Jedenfalls wird es hier eisig
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