Das Spiel der Nachtigall
sie die Geschichte nicht hören wollte, fragte Judith, was es mit Blois denn auf sich hatte.
»Ein totes Kind wurde aufgefunden, und ein Knecht der Stadtwache behauptete, die Juden hätten es beim Passah-Fest gekreuzigt und danach in die Loire geworfen«, sagte Stefan mit ausdrucksloser Stimme. »Danach ließ der Graf von Blois sämtliche Juden verhaften, in einen Turm aus Holz sperren und verbrennen. Seither gibt es in Blois keine Juden mehr.«
»Das tote Kind wird von vielen Menschen als Märtyrer verehrt«, fügte Gilles ernst hinzu. »Der König von Frankreich gehört dazu. Als er auf den Thron kam, und das ist keine zwanzig Jahre her, da ließ er die Juden seines Landes in den Kerker werfen, weil sie christliche Kinder bei ihren Passah-Feiern umbrächten, und hat fünfzehnhundert Mark Silber gefordert, um sie wieder gehen zu lassen, nachdem er all ihren Grundbesitz konfisziert hatte. Er nannte es das Bußgeld für den kleinen Märtyrer.«
»Wehe dem Land, das keinen guten König hat«, sagte Stefan bedeutungsvoll. Judith verzichtete darauf, ihn zu fragen, ob er denn Grund habe zu glauben, dass seine Welfen so etwas nie tun würden, wo er doch wusste, was ihr mit einem von ihnen in Klosterneuburg passiert war. Ihr war kalt, sehr kalt, und sie bewegte stumm die Lippen, als sie das Kaddisch für die Toten von Blois sprach.
Welche französische Grafschaft zu Frankreich und welche zu England gehörte, war sehr verwirrend: Chinon hatte früher dem Grafen von Blois gehört, war dann dem Grafen von Anjou als Lehen gegeben worden und schließlich zum bevorzugten Sitz der englischen Könige geworden, seit Alienor von Aquitanien den Vater König Richards geheiratet hatte. Judith war froh, als sie die Stadt erreichten, obwohl ihre Zweifel während der Reise nicht geringer geworden waren.
Die Burg war riesig, weit größer als diejenigen, die sie bisher gesehen hatte, gut 600 Schritt lang und bestimmt 120 Schritt breit. »König Henry hat sie bauen lassen«, sagte Gilles stolz, »und er schwor, dass sie nie eingenommen werden würde.« Die am Burgturm gehissten Wimpel verrieten, dass man sie nicht falsch unterrichtet hatte: König Richard war anwesend. Stefan entschied sich, in der Stadt Quartier zu nehmen und sich so zu kleiden, wie es einem Kaufmann von Köln geziemte, ehe er dem König seine Aufwartung machte.
»Ich dachte, du hast es so eilig, dass jede Stunde zählt?«, fragte Judith neckend.
»Das habe ich, doch er muss mich auch ernst nehmen.«
Das bedeutete auch, nicht in Begleitung seiner Nichte zu erscheinen, doch damit war zu rechnen gewesen. Gilles hatte wieder das richtige Badehaus ausfindig gemacht, und sie beschloss, den Nachmittag dort zu verbringen, weil heißer Dampf ihr guttun würde und sie auch nach Kräutern fragen wollte, die man hier gegen Krankheiten kannte. Gewiss würde ihr Latein genügen, um sich zu verständigen.
Gilles begleitete sie, obwohl er das Badehaus an diesem Tag nicht betreten durfte. Judith drückte ihm ein Geldstück in die Hand; sie würde drei oder vier Stunden hier verbringen, und er sollte nicht die ganze Zeit in der Gasse herumstehen müssen.
»Da wäre ich nicht der Einzige«, sagte Gilles und deutete auf die beiden Kriegsknechte, die vor dem Eingang postiert standen. Judith runzelte die Stirn.
»Habt Ihr nicht gesagt, heute sei ein Badetag für Frauen?« Sie war nicht naiv: Es gab genügend Badehäuser, in denen feste Regeln nicht galten, doch sie bezweifelte, dass Gilles die Nichte seines Schutzherrn wissentlich in ein solches führen würde. Er sprach mit den Soldaten und kehrte zu ihr zurück.
»Es handelte sich um einen Notfall«, sagte er. »Ihr Patron braucht jemanden, der ihm einen Zahn zieht, deswegen ist er zum Badehaus gekommen, aber der Bader ist nicht da.«
Wenn er ihr einen silbernen Anhänger geschenkt hätte, dann hätte das Judith weniger gefreut. Sie strahlte, und Gilles lachte. »Ihr habt wieder diesen Blick«, sagte er.
»Was für einen Blick?«
»Den gleichen, den Ihr in den Augen hattet, als wir in Reims den Stall mit dem Kaufmann teilten und Ihr ihm eine Salbe für sein krankes Knie machtet. Ich habe noch nie eine Frau gekannt, die so darauf versessen ist, Blut, Eiter und Wunden zu sehen.«
»Nun, ich bin darauf versessen, sie zu heilen«, sagte sie. »Tun zu können, worin wir gut sind, macht uns glücklich.«
Gilles sagte den Soldaten, dass seine Herrin eine Magistra aus Salerno sei. Sie wurden in den Raum des Badehauses gebracht, wo
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