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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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erinnerte.
Als der Sommer kommen wollt’
Und im Gras die Blumen hold
Wonniglich entsprangen:
Wo die Vögel sangen,
Dorthin kam ich gegangen,
Sah die Wiese prangen,
Wo ein lautrer Quell entsprang,
Der am Walde lief entlang,
Drin die Nachtigall hell sang.
An der Quelle stand ein Baum.
All da hatt’ ich süßen Traum.
Aus der Sonnenhelle
Kam ich zu der Quelle,
Unter breiten Linden
Schatten kühl zu finden.
An dem Born ich niedersaß,
Meines Leidens bald vergaß,
Dass ich schnell entschlief im Gras.
Und im Träume däucht’ mir gleich,
Wie mir diente jedes Reich,
Wie die Seel’ ohn’ Sorgen
Ewig wär’ geborgen,
Und dem Leib gegeben,
Wie er wollt’, zu leben.
Unaussprechlich war ich froh.
Wollte Gott, es wäre so.
Schönres träumt’ ich nirgendwo.
Gerne schlief ich immer hier.
Doch die Kräh, das schändlich Tier,
Laut begann zu schreien.
Mag ihr das gedeihen,
Wie ich’s wünsch’ von Herzen!
Denn es kehrt’ in Schmerzen
Sich mein Traum, und ich erschrak.
Wenn ein Stein zur Hand mir lag,
War’s der Krähe letzter Tag!
    Die Dörfler hörten gebannt zu, doch als er den letzten Vers wiederholte, stimmten drei der Kinder ein und sangen kichernd »War’s der Krähe letzter Tag!« mit ihm. Der Mann mit dem gebrochenen Bein lachte nicht, war aber verstummt und erhielt seinen Schluck Branntwein. Walther gab etwas Kupfer für ihn. Danach verließ er das Dorf, so schnell er konnte.
    Immer noch ohne Knappen, traf er in Hagenau ein, wo in der Kaiserpfalz das Wappen der Staufer gehisst war. Auf Anhieb zu Herzog Philipp durchgelassen zu werden, erwies sich als unmöglich, also fragte er sich zur Kemenate der Herzogin durch, die weit weniger umlagert war. Er hatte Glück und traf bereits auf dem Weg dorthin auf eine Magd, die ihm bekannt vorkam. Es war das Kind, das hinter ihr herlief, was schließlich seinem Gedächtnis den entscheidenden Stoß versetzte.
    »Kann es sein, Frau Lucia, dass Ihr auf Suche nach Milch seid?«, fragte er. Nach einem Augenblick des Stutzens erkannte sie ihn ebenfalls. Ihre Deutschkenntnisse waren besser geworden. Sie willigte ein, ihn zu Irene zu bringen, und freute sich, als er für ihren kleinen Sohn eine Kuh und eine Ziege nachahmte. »Ein wunderbarer Gaukler, Ihr«, sagte sie.
    »Ihr trefft mich tief! Ich bin ein fahrender Ritter der singenden Art«, erwiderte er aufgeräumt und fügte etwas darüber hinzu, wie sehr sich die Herzogin freuen musste, dass eine ihrer Dienerinnen aus Palermo an ihrer Seite geblieben sei.
    »Nicht Palermo, Salerno«, verbesserte sie ihn. »War erst im Dienste der Magistra. Hat für mich gebeten.«
    Es gab keinen Grund, warum ihn das auch nur im mindesten kümmern sollte. Um sich zu beweisen, wie völlig gleichgültig ihm die Frau war, fragte er, ob die Magistra denn nach ihrer Flucht mit dem Kaufmann noch etwas von sich habe hören lassen und ob der Mann wenigstens versprochen habe, sie zu heiraten. Lucia sah ihn verständnislos an. »Heiraten geht nicht«, sagte sie. »Ist Onkel.«
    Als Junge hatte Walther einmal den Fehler gemacht, Markwart zu bitten, ihm das Raufen beizubringen. Es endete damit, dass Markwart auf seinem Brustkorb saß und fragte: »Gibst du auf?« Die Erleichterung, als er von Walther hinunterkletterte, mischte sich mit der unausweichlichen Erkenntnis, dass seine eigene Dummheit erst zu dieser demütigenden Erfahrung geführt hatte. Er hatte nicht gedacht, dass ihn dieses Gefühl noch einmal einholen würde.
    Sein Kopf war immer noch merkwürdig schwerelos, als er das Gemach der Herzogin betrat. Mittlerweile hatte Irene, die unübersehbar in anderen Umständen war, mehrere Damen um sich, die dem Reichtum ihrer Kleidung nach selbst Ehefrauen oder Töchter von Edelleuten waren, und einen Schreiber, dem sie gerade diktierte. Dennoch begrüßte sie Walther sofort.
    »Herr Walther! Dass Ihr noch in diesem Jahr den Weg an unseren Hof findet, hätte ich nicht gedacht. Seid willkommen.« Sie sah blendend aus, war von Kopf bis Fuß in Seide gekleidet und trug, wo es nur ging, ausgewählten, kostbaren Schmuck. Er verneigte sich tief.
    »Edle Fürstin, Ihr werdet schöner durch die Ehe, wisst Ihr das?« Er konnte es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Und es freut mich, dass Schwaben sich gegenüber ihren Frauen nicht immer so knauserig zeigen, wie man es ihnen nachsagt. Aber ich kann Euren Gemahl gut verstehen – Eure Hände inspirieren jeden Künstler zu Ringen, Euer Hals zu Ketten, Eure Taille zu Gürteln und Euer Haar für eine Krone.«
    Sie

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