Das Spiel der Nachtigall
von Gottes Gaben gewesen. Womit ich natürlich nur deine Dichtkunst meine.«
»Natürlich.« Er versuchte, einen weiteren Kuss zu stehlen, doch diesmal ergriff sie seine Schultern und hielt ihn zurück.
»Hast du Gilles gefunden, Walther?«
Erst in dem Moment, als er den Mund öffnete, um die Frage zu verneinen, traf Walther die Entscheidung, mit der er sich den ganzen Abend herumschlug, seit Markwart seinen Verdacht geäußert hatte. Wenn er ihr erzählte, was Markwart mutmaßte, dann war das immer noch keine Gewissheit, obwohl es mit größter Wahrscheinlichkeit stimmte. Doch es würde sie ruhelos lassen, und möglicherweise würde sie sich sogar verpflichtet fühlen, hier in Bamberg zu bleiben und weiter nach Gilles zu suchen, statt die Königin zu begleiten. In Bamberg, wo Ritter Georg und seine Freunde lebten, die es für eine Tat zu Ehren Christi hielten, Juden zu töten, egal wo sie diese fanden. In Bamberg, das der in Würzburg lebende Botho bestimmt öfter besuchte, der glaubte, dass Judith keine echte Christin war.
»Ja«, sagte Walther. »Aber er wird nicht zurückkommen. Er will ein neues Leben anfangen, nach allem, was geschehen ist. Das verstehst du gewiss. Er wünscht dir alles Glück der Welt.«
Judith trat einen Schritt zurück. Bestürzung, Schuldgefühl und Trauer traten in ihr Gesicht. »Aber – aber wohin …«
»Das hat er mir nicht verraten«, sagte Walther rasch, »doch ich hatte den Eindruck, dass er seine Heimat wiedersehen will.«
Sie biss sich auf die Lippen. »Ich hätte mehr für ihn da sein müssen«, sagte sie leise. In dem Festlärm verstand Walther sie beinahe nicht, doch als er begriff, schüttelte er den Kopf.
»Nein, nein. Du warst alles, was ihn noch hier gehalten hat, und er dankt dir für all das Gute«, spann er seine Lüge weiter, denn in der Kunst, zu wissen, was die Menschen hören wollten, war er sehr erfahren, »was du ihm durch deine Freundschaft in sein Leben gebracht hast. Doch nun, da er dich sicher und geliebt weiß, da fühlte er sich frei, zu gehen. Er hätte es dir selbst gesagt, doch der Abschied fiel ihm zu schwer.«
Judith blinzelte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, wie um eine Träne wegzuwischen, doch wenn sie weinte, dann ließ sie es nicht erkennen. Stattdessen blickte sie Walther in die Augen. »Das hat er gesagt?«
Er wusste, was auf dem Spiel stand. Er konnte nicht vorgeben, es nicht zu wissen; es hatte lange gedauert, doch nun vertraute ihm Judith, nun liebte sie ihn, nun war sie bereit, das auch zuzugeben. Wenn sie herausfand, dass er dieses gerade erst errungene Vertrauen so schnell benutzte, um sie anzulügen, würde sie ihm das nicht verzeihen.
Aber es ist keine Lüge, sagte sich Walther, nicht wirklich, denn es ist so gut wie die Wahrheit. Er war sich mittlerweile sehr sicher, dass Gilles es geradeso gehalten hatte. Außerdem war es zu Judiths Bestem. Am Ende rettete er sie mit dieser Lüge vor diesem Ritter Georg und somit ihr Leben. Walther unterdrückte die Stimme in seinem Herzen, die wie Judiths klang und ihn einen Lügner nannte. »Das hat er.«
»Ich kann hier nicht atmen«, sagte Judith und ergriff seine Hand.
»Und ich«, entgegnete er und schob alle Zweifel und Gewissensbisse endgültig von sich, »kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir draußen die Sterne zu betrachten.«
V. Tagelied
1202–1203
Kapitel 30
D as kann so nicht weitergehen«, sagte Otto ruhig, was die Sache für Adolf von Köln beunruhigender machte, als wenn der Welfe geschrien hätte. Der von ihm gekrönte König hatte etwas, das Adolf Furcht einflößte, daran war nicht zu deuten. Das wäre bei dem Zähringer, dem verwünschten Kerl, nie der Fall gewesen.
»Es ist nun schon zwei Jahre her, dass Seine Heiligkeit mich zum rechtmäßigen König erklärt hat. Ich bin eigens nach Rom gezogen, um mich von ihm segnen zu lassen. Ich habe ihm einen Eid geschworen, dass ich nie das Königreich Sizilien noch eine andere der Eroberungen der Staufer in italischen Landen für das Reich beanspruchen werde, wenn ich erst Kaiser bin. Und was habe ich dafür bekommen?«
»Seine Heiligkeit hat Philipp gebannt«, sagte Adolf und verzichtete uneigennützig, auf seine eigenen Entbehrungen im Dienste der welfischen Sache zu verweisen. Immerhin war Köln dreimal belagert worden; seine Einkünfte aus dem Lehen waren entsprechend drastisch gesunken.
»Und wen kratzt das? Offensichtlich nicht die deutschen Bischöfe«, gab Otto zurück. »Die
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