Das Spiel der Nachtigall
auf die Tischseite, wo Bertholds Gemahlin mit seiner eigenen Gattin und der Leibärztin der Kaiserin plauderte. Eigentlich fand er es weibisch vom Zähringer, etwas auf die Meinung seiner Gemahlin zu geben, aber dann dachte er an Otto und dessen Art, Scherze zu machen, die Dietrich immer den Verdacht gaben, sie seien auch auf seine Kosten.
In jener Nacht ertappte er sich zum ersten Mal seit langem dabei, seine Gemahlin mit seiner Gegenwart zu beehren, statt sich eine junge Magd ins Bett zu nehmen. Nicht, dass er selbst etwas auf Weibergeschwätz gab, doch man konnte nicht leugnen, dass Jutta von ihrem Vater Dinge hörte, die ihm erzürnenderweise vorenthalten wurden, und Hermann war unleugbar der gerissenste alte Fuchs im Reich.
»Hat dein Vater eigentlich etwas gesagt, als er hörte, dass wir die kleine Kaiserin durch das Reich geleiten?«
»Oh«, entgegnete Jutta beiläufig, »nur, dass wir sie besonders gut behandeln sollten, damit sie sich beim Kaiser für uns einsetzen kann, wenn er wieder aus dem Süden zurückkehrt.«
»Warum sollten wir denn Fürbitten beim Kaiser nötig haben?«, stieß Dietrich hervor; seine Stimme überschlug sich beinahe.
»Das weiß ich auch nicht, aber mein Vater scheint zu glauben, dass der Kaiser nicht mit Ehren und Gütern für die deutschen Fürsten aus Italien zurückkehren wird, sondern mit Forderungen. Sehr vielen Forderungen.«
* * *
Die Reise durch das Reich stellte sich als eine der besten Ideen heraus, die Judith gehabt hatte. Bei jedem kleinen und größeren Hof sprach sie mit den Gemahlinnen der Fürsten, wenn sie eine Behandlung oder ein paar Mittel zur Verschönerung anbot. Selbst die jungen und kerngesunden wollten von der Leibärztin der Kaiserin behandelt werden. Gewiss, bei manchen von ihnen verliefen Versuche, das Gespräch auf all das zu lenken, was der jeweilige Gemahl von Otto zu befürchten hatte, im Sande, weil sie nicht mit einer Frau aus dem Volk über solche Dinge sprechen wollten. Aber diese Fürstinnen waren dann umso gesprächsbereiter, wenn sie mit der Markgräfin von Meißen plauderten. Die meisten sprachen mit ihnen beiden, und am Ende gab es kaum ein Fürstenpaar, das nicht mit verstörenden Überlegungen zu Otto zurückblieb.
Bei den Städten hatte Judith zunächst größere Schwierigkeiten gesehen, weil sie nicht von einem einzigen Mann regiert wurden. Aber dann hörte sie, wie Beatrix davor gewarnt wurde, nach Breisach zu kommen. Anscheinend hatte es dort nach Ottos Königsritt einen Aufstand gegeben, weil Männer aus seiner Leibwache Bürgerstöchter geschändet hatten, ohne vom Kaiser dafür bestraft worden zu sein. »Dann ist es umso wichtiger, dass wir diese Stadt besuchen, um sie zu versöhnen«, erklärte Beatrix. Judith erlebte erneut den Zwiespalt, gleichzeitig stolz auf das Mädchen zu sein und sich sehr bewusst, sie zu hintergehen.
Den Bürgern von Breisach war es eine Freude, Beatrix als Tochter ihres Vaters zu empfangen, wenn auch nicht als Kaiserin. Sie ließen eine Stadt zurück, die fest auf der Seite der Stauferin stand, nicht auf der des Kaisers, auch, da Judith jeden der Haushalte aufgesucht hatte, die seinerzeit unter Ottos Leuten gelitten hatten.
Es blieb nicht die einzige Geschichte dieser Art. In Goslar war es die Frau des Bürgermeisters, die Judith unter vier Augen gestand, von Otto belästigt worden zu sein. »Mein Gemahl bringt es kaum mehr fertig, mich anzuschauen, und ich – ich kann von Glück sagen, dass er mich nicht eine Hure nennt und verstößt, sondern mir glaubt, dass ich dem Kaiser nicht freiwillig als Kebse diente. Aber mein Leben ist zerstört.«
»Ihr wisst, dass der Papst den Kaiser gebannt hat?«
»Wenn er jetzt stirbt, wird er in der Hölle schmoren, ich weiß«, sagte die Bürgermeisterin bitter, »aber der stirbt erst, wenn er sich freigekauft hat und entsühnt worden ist und fester auf seinem Thron sitzt denn je. Wie soll jemandem wie mir da Gerechtigkeit zuteilwerden?«
»Indem ein anderer dort sitzt«, sagte Judith. Was Walther ihr von Friedrich erzählt hatte, war zwar keine Sicherheit dafür, dass dieser ein guter Herrscher sein würde, doch es hörte sich auf alle Fälle viel besser an als alles über Otto.
Sie hatte mehr Glück als die Bürgermeisterin: Sie und Walther konnten einander ansehen. Doch das hieß nicht, dass alles beim Alten war. Er hatte seit seiner Rückkehr aus Italien nie den Versuch gemacht, die Nacht mit ihr zu verbringen. Sie wusste nicht, ob sie ja gesagt hätte,
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