Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
alle seien auf dem Eiermarkt.«
Ich zuckte mit den Schultern. Er hielt die zweite Lampe an die Flamme und fummelte so lange herum, bis auch sie brannte. Dann betrachtete er den Gang. Schließlich deutete er auf die eine Tür und auf sich, dann auf die andere und auf mich und sagte: »Getrennt marschieren – vereint schlagen?«
Der Gedanke, ihn allein hier herumschnüffeln zu lassen, begeisterte mich nicht gerade, aber ich hatte kein Argument mehr dagegen. »Na gut, aber sei vorsichtig.«
Er sah mich an wie ein erwachsener Sohn, dem seine alte Mutter vom Krankenbett die Frage nachruft, ob er sich den Hals gewaschen hat, dann wandte er sich ab. Ich sah, wie er zu der Tür auf seiner Seite schlich, die Lampe vorgestreckt und den Dolch erhoben, dann drückte ich die Klinke der Tür auf meiner Seite hinunter und trat ein.
Der erste Eindruck war der eines Abgrunds, in den ich hineinfiel. Ich machte einen Schritt nach vorn, und der Abgrund schloss sich um mich. Der Raum erstreckte sich über die ganze Tiefe des Gebäudes, ein zweiter, weiterer Tunnel, in dem jeder meiner Atemzüge widerhallte. Durch die verrammelten Fenster in der vorderen Schmalseite sickerte Licht in dünnen, mehrfachunterbrochenen Linien: die Ritzen zwischen den Brettern. Ich spürte einen kühlen Hauch wie von Zugluft, doch die Flamme meiner Lampe bewegte sich nicht einmal.
Außer mir war noch jemand in diesem weiten, hallenden Raum. Meine Haare stellten sich auf. Ich streckte die Hand mit der Lampe nach vorn und merkte, dass ich zitterte. Das schwache Licht enthüllte Wände, von denen der Putz in Flocken abblätterte, und einen Boden, der so uneben war wie der eines Schiffswracks. Ich hatte das Gefühl, dass, wer immer sich mit mir im Raum befand, sich gerade außerhalb des Lichtschimmers hielt, und noch während ich genauer hinsah, schien sich etwas kurz zwischen mich und die dünnen Linien aus Licht von den Fensteröffnungen zu schieben. Ich hörte jemanden keuchen und merkte, dass ich es selbst war.
Ich brauchte das Licht nicht, um zu wissen, wer sich mit mir im Raum befand. Ich bezweifelte, dass das Licht ihn erhellt hätte. In der letzten Nacht hatte ich ihn aufgeweckt, und dass er nicht in der Lambertikapelle auf mich gewartet hatte, lag nur daran, dass er mich an einem Ort treffen wollte, wo ich ihn nicht erwartete. Ich hatte ihn in den Tod getrieben, ich hatte seine geringe Chance auf einen gerechten Prozess zunichte gemacht, ich hatte einen Dämon erweckt, wo gar keiner gewesen war. Und die Tatsache, dass durch seinen Tod vermutlich drei andere Leben gerettet worden waren (das seiner Freunde, die nun alle Schuld auf ihn schoben, die Ausstellung im Käfig am Perlach und das nachfolgende Ausstreichen mit Ruten aus der Stadt mit Erleichterung auf sich nahmen, hatten sie doch das Feuer erwartet), konnte mich nicht trösten und ihn nicht von seinem Zorn abbringen.
Ich spürte einen kalten Atemhauch in meinem Nacken und wirbelte herum. Die Flamme ging beinahe aus, flackerte dann aber zögernd wieder hoch. Ich sah niemanden hinter mir.
Ich wusste, wenn er mich berührte, würde ich ihm gehören.
Ein Trigramm aus Kreide, ein Trigramm aus Ruß. Weiß und schwarz. Leben und Tod. Richtig und falsch.
Ich trat einen weiteren Schritt in den Raum hinein, und die Gestalt war verschwunden. Auf knarrenden Holzbrettern ging ich bis zum Fenster, packte einen der Läden und ruckte an ihm, bis er sich ein wenig nach innen neigte und einen breiteren Strahl Licht hereinließ. Ich sah den Staub einer Räumlichkeit, die noch nie benutzt worden war, und meine eigenen Spuren von der Tür bis hierher. Andere, ältere Spuren kreuzten hindurch: kleine Pünktchen mit dünnen Linien zwischen ihnen, von Ratten und Mäusen. Schwarze Kügelchen lagen überall verstreut. Ich starrte auf den Boden, aber es gab keine menschlichen Spuren außer meinen eigenen und keine in den Staub gemalten nigromantischen Symbole.
Schritte näherten sich von der anderen Seite der Wand. Dann steckte Gregor den Kopf herein und hielt die Lampe in die Höhe.
»Was immer sich der Baumeister mit dem langen Saal da drüben gedacht hat, Stinglhammer konnte jedenfalls nichts damit anfangen. Alles ist leer bis auf die Mäuseköttel.« Er sah sich um. »Aber warum beschreibe ich dir, was du hier auch sehen kannst. Hast du irgendwelche Dokumente gefunden?«
»Sie sind nicht hier oben«, sagte ich. Ich fühlte mich schwindlig.
»Mist.« Er trat zurück, sodass nur noch seine Hand sichtbar war,
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