Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)
suchen?«, fragte Hilarius. »Wenn ja, sind Sie mir was schuldig.«
»Woher wollen Sie wissen, was ich wirklich suche?«
»Ich habe Sie bei der Beerdigung von Martin Dädalus beobachtet. Schon vergessen?«
»Wovon redet ihr?«, brummte Gregor wütend.
»Die Kerle in der Trinkstube«, sagte ich schnell.
»Er macht den Eindruck, als sei er heute schon dort gewesen.« Gregor zog die Augenbrauen zusammen. »Der Käfig am Perlach wartet immer noch auf euch beide.«
Hilarius Wilhelm presste die Lippen zusammen, doch er ignorierte Gregor. Der Wein schien seinen Mut gegenüber sonst deutlich erhöht zu haben. Er sah mich von unten herauf an.
»Was haben Sie hier zu finden gehofft?«, fragte ich ihn.
»Nichts.«
»Er hat sich im Fenster geirrt«, zischte Gregor sarkastisch. Er bückte sich, um die verstreuten Blätter aufzusammeln und wieder auf einen Stapel zu schichten. Ich erstarrte, als ich sah, wie er die Zeilen überflog, doch er legte die Papiere nur mit einem Stirnrunzeln beiseite. Das Licht war zwar gut dort, direkt neben der brennenden Lampe, aber er war viel zu kurzsichtig, um sie so lesen zu können, und viel zu eingebildet, um sich das Papier direkt vor die Nase zu halten und uns so von seinem Gebrechen wissen zu lassen. Ich wusste plötzlich, warum er mir den Vortritt beim Lesen der Unterlagen gegeben hatte, und ichfragte mich, wie weit ein Mann selbst in einem so nebensächlichen Amt wie dem des Burggrafen dem Bischof von Nutzen war, wenn er nichts lesen konnte, was weiter als eine Handbreit von seinen Augen entfernt war. Die Stapel Dokumente, die er auf dem Tisch des Bischofs im Palast hin- und herschob, waren jedenfalls reine Tarnung.
»Ich möchte Ihnen immer noch helfen«, sagte Hilarius und ließ die Augen nicht von mir. Ich war mir nicht sicher, was er meinte – die Mordfälle oder Maria. Ich wusste nur, dass ich Gregor keinesfalls darauf bringen durfte, dass meine Tochter auf irgendeine Weise in die Sache verwickelt war.
»Sie helfen allen am besten, wenn Sie sich raushalten.«
»Was ist das?«, fragte Gregor und bückte sich erneut. Unter dem Fenster lag ein schmutziger Leinenbeutel. Er hob ihn auf. Der Beutel schien schwer zu sein, und ich hatte einen Augenblick lang den Eindruck, etwas darin habe sich bewegt. Hilarius richtete sich schnell auf.
»Es gehört mir. Geben Sie 's her.«
Gregor grinste und nestelte den Verschluss auf. »Immer mit der Ruhe.«
Hilarius schnaubte und ließ sich wieder gegen die Wand sinken. Aus seinen Zügen verschwand plötzlich ein tüchtiges Stück von dem Trotz, der bisher darin gelegen hatte. Gregor steckte die Nase in den Beutel und zuckte zurück. Sein Gesicht sah aus, als hätte ihn jemand geschlagen.
»Was ist?«
»Ich habe ihn außerhalb des Gögginger Tors gefunden«, stotterte Hilarius. »Er war schon fast tot, als ich ihn sah ...« Er verstummte und wischte sich über den Mund.
Gregor reichte mir den Leinenbeutel herüber. Er fühlte sich leichter an, als er aussah. Was sich darin befand, sah wie ein zerzauster weißgrauer Lumpen aus, nur dass der Lumpen ein grellgelbes Krallenbein besaß, das leise zitterte. Ich griff an das untere Ende des Beutels und zog die Hand feucht zurück: Blut. Ein Zittern lief über den Körper, und das Bein bewegte sich stärker. Ich warf einen raschen Blick auf den Jungen. Erbeobachtete jede meiner Handbewegungen, und wenn sein flächiges Gesicht subtilere Gefühle als Freude, Angst und Wut auszudrücken imstande war, dann konnten seine gerunzelte Stirn und seine herabgezogenen Mundwinkel bedeuten, dass er den Inhalt des Leinenbeutels bedauerte.
»Was soll das bedeuten?«, stieß Gregor hervor. Seine Augen waren schmale Schlitze.
»Ein weißer Hahn«, sagte ich. Ich ließ den Beutel zu Boden sinken. »Er lebt noch immer. Es ist wichtig, dass er vorher nicht stirbt, habe ich Recht?«
Hilarius zögerte und nickte dann ergeben.
»Ein Hühnerdieb«, spuckte Gregor.
»Ich habe ihn nicht gestohlen! Ich fand ihn außerhalb des Gögginger Tors – er war unter Pferdehufe geraten, und ich hob ihn auf ...«
»Was haben Sie sonst noch mitgebracht? Eine Fledermaus, um Blut aus ihrem Kopf zu drücken? Oder reicht der Hahn aus? Milch? Honig?«
»Etwas Asche, Mehl und Salz«, flüsterte Hilarius.
»Drei Schusternägel?«
»Das ist Aberglaube. Was soll ein Dämon mit Schusternägeln anfangen?«
»Was soll ein Dämon überhaupt hier anfangen?«, brüllte Gregor los. Er griff nach dem Packen Papiere und begann aufgebracht,
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