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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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biss die Zähne zusammen und nickte.
    Es war von ungelenken Händen aus Stroh gefertigt worden. Vor wenigen Stunden hatte ein Bettler versucht, mir eines davon zu verkaufen, und zwischen den paar Schaufeln Erde auf dem Totenbrett sah es nicht weniger obszön aus als in dessen schmutzigen Fingern. Das Totenbrett lag schief auf dem Körper, den es bedeckte, und die verhüllte Gestalt lugte ein wenig darunter hervor, als begehrte auch sie zu wissen, was man ihr als letzte Gabe mitgegeben hatte. Fliegen schwärmten aufgebracht darüber, und der Geruch, der das Grab umgab, schien irgendwie zu dem kleinen, kruden Symbol zu passen.
    »Aus Kreide oder aus Ruß oder aus Stroh – oder nur in die Wand geritzt. Es bedeutet immer dasselbe: Zurück in den Kreis.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Ich begegnete dem Blick des Totengräbers, ohne ihn wahrzunehmen. Diesmal sah ich nicht den Jungen auf dem Kerkerboden vor mir. Ich wusste plötzlich, an wen mich die hastige Gangart erinnerte. Sie hatte sie von ihrer Mutter geerbt.
    »Maria«, sagte ich.

7.
    Beim Tor holte ich sie ein. »Verzeihung ...«
    Durch nichts gab sie zu erkennen, dass sie mich gehört hatte. Sie trug ein steifes Tuch auf dem Kopf, das sie über der Stirn so eingerollt hatte, dass es stramm saß. Der Rest des Tuchs hing üblicherweise wie eine halblange Schleppe über den Rücken hinab. Sie hatte ihn jedoch vor das Gesicht gezogen und es fast ganz damit verhüllt. Ich sah den Schwung eines Wangenknochens und den Lidschnitt der Augen, und mein Herz begann schneller zu schlagen.
    »Maria?«
    Sie wandte sich seitwärts, um durch das Tor zu schlüpfen. Schon früher war sie ein Ebenbild ihrer Mutter gewesen, und die wenigen Linien, die ich von ihrem Gesicht gesehen hatte, waren mir noch so gut bekannt wie vor zehn Jahren. Bevor ich wusste, was ich tat, hielt ich sie am Arm fest.
    »Maria, bitte!«
    Auf meine Berührung hin fuhr sie herum und riss sich los, aber sie blieb stehen. Das Tuch rutschte von ihrem Gesicht und ich sah meiner toten Frau in die Augen.
    Wie in dem Bemühen, mit dem Namen auch das Aussehen ihrer Mutter anzunehmen, waren die Gestik, die Mimik und die Gesichtszüge meiner Tochter Maria denen meiner Frau stets verblüffend ähnlich gewesen; dementsprechend war sie auch diejenige, die sich mit ihr am stärksten verbunden gefühlt hatte. Als wir noch eine Familie waren, hatte mich dies amüsiert, als wir keine mehr waren, hatte ich es als Qual empfunden, meine Tochter anzusehen und jedes Mal zu glauben, meine verstorbene Frau habe das Grab hinter der Holunderhecke auf meinem Hofverlassen und sei wieder zu mir zurückgekehrt. Meine Tochter Maria hätte während der Jahre der Erstarrung meinen Beistand am nötigsten gebraucht. Doch ich hatte meine Pflichten an ihr ebenso versäumt wie an meinen anderen Kindern. Vielleicht hatte ich mich vor ihr sogar noch mehr zurückgezogen, denn es war, als seien ihre Gesichtszüge nur dazu da gewesen, mich damit zu verspotten.
    Damals hatte es mir in meiner bodenlosen Trauer nicht geholfen, dass jemand um mich herum war, der aussah wie meine tote Frau an dem Tag, als ich sie geheiratet hatte. Und das Ebenbild, das mir jetzt gegenüberstand, war nicht das der lebendigen, fröhlichen, zupackenden Maria, es war das der Frau, die besinnungslos auf dem Bett in der Kammer lag und nicht einmal mehr so weit zu Bewusstsein kam, dass ich von ihr hätte Abschied nehmen können.
    Sie war so blass, dass die Venen durch ihre Haut zu dringen schienen. Ihre Augen waren von grauen Schatten umgeben und glanzlos, und ihre Lider zuckten. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt; ihre Mutter war zehn Jahre älter gewesen, als sie starb. In den beiden Gesichtern war kaum ein Unterschied zu sehen, nur, dass meine Tochter womöglich noch erschöpfter wirkte als die Sterbende und mindestens ebenso weit vom Leben entfernt. Ich ließ ihren Arm los und fühlte das Bedürfnis, sie zu umarmen, mit der gleichen Stärke wie den Drang, einen Schritt zurückzuweichen.
    Eine Woge aus Zärtlichkeit und Ablehnung zugleich schwappte in mir hoch. Es war falsch gewesen, nach Augsburg zurückzukehren. Es war falsch gewesen, Jana nicht mitzunehmen, um die Geister der Vergangenheit abzuwehren. Und das Falscheste war gewesen, auf die Suche nach meiner Tochter zu gehen.
    Vielleicht hätte ich es nie getan, gäbe es nicht einen schrecklichen Grund dafür. Ich habe niemals geglaubt, zu den Menschen zu gehören, die sich ihrer Vergangenheit mit Bravour zu stellen

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