Das Spiel des Saengers Historischer Roman
dem Wassergraben überquert hatte, wandte ich mich jedoch nicht gleich dem Land zu, sondern trabte langsam zum Rhein hinunter und folgte dem sandigen Ufer, das sich in der Kehre gebildet hatte. Einige Fischerboote lagen auf dem Kies, Flussmöwen umflatterten sie kreischend, Kinder flickten die ausgebreiteten Netze oder sammelten Treibholz. Langsam glitten einige Oberländer - die Schiffe, die südlich von Köln die Frachten übernahmen - auf dem Strom
vorbei. Ihr hochgezogenes Heck mit dem großen Senkruder verlieh ihnen ein ganz unverwechselbares Aussehen. Gegen die Strömung wurden sie meist getreidelt, doch in dieser Biegung hier mussten Ruderknechte ihre harte Arbeit auf ihnen verrichten.
Sie fuhren die fernen Ziele an, bis Basel und Straßburg transportierten sie die Waren, die auf den Niederländer genannten Schiffen oder über Land nach Köln gelangt waren. Vor allem Tuche aus Flandern und England, Fisch aus der Nordsee und Salz aus der Bretagne kamen von Norden, aus dem Osten kostbare Pelze, Wachs und Bernstein. Die Schiffe aber, die von Süden eintrafen, trugen Weine und all jene wertvollen Waren aus dem mittelländischen Meer, Spezereien, Seide, Safran, Glas, Papier und viele andere seltene und teure Güter.
Die Rufe der Pferdeknechte und Ruderer hallten durch die Luft, und ein leichtes Fernweh ergriff mein Herz. Ich war lange auf Reisen gewesen, auch auf Schiffen wie diesen. Seither wusste ich, dass die Welt im Wandel begriffen war. Nicht der Schweifstern kündigte diesen Umbruch an, sondern viele kleine, sehr irdische Veränderungen. In Köln hatten vor acht Jahren die Bürger den Verbundbrief unterschrieben, und damit bestimmten sie nun das Schicksal der Stadt. Nicht der Erzbischof, nicht der Adel, sondern Kaufleute und Handwerker bildeten den Rat, und so geschah es in vielen anderen Städten auch.
So wie der Schweifstern mit seinem Kommen aus der Unendlichkeit das Bild eines unveränderbaren Universums in Frage stellte, so stellte auch der sich immer weiter ausdehnende, immer wichtiger werdende Handel das Bild einer streng nach Ständen geordneten Gesellschaft in Frage. Ich hatte auf meinen Reisen mit manchen belesenen und weisen Männern gesprochen. Die gemütliche Vorstellung eines Himmels, der sich wie eine feste Kuppel über einer flachen, meerumspülten Erdscheibe wölbte, durch deren unzählige Löchlein das Licht der göttlichen Sphären schimmerte,
würde vermutlich bald keinen Bestand mehr haben. Einige der hochgebildeten Astrologen, die die Schriften der Griechen übersetzt und verstanden hatten, zweifelten an, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt sei. Ja, sie mutmaßten sogar, sie sei eine Kugel, die um die Sonne kreiste, und nicht umgekehrt. Verstanden hatte ich nicht, wie sie zu derartigen Ableitungen kamen; weder die Schriften der alten Weisen noch die komplizierten Rechnungen der Astrologen waren mir vertraut. Aber die Idee, die sich dahinter verbarg, empfand ich als reizvoll, wenn auch einigermaßen erschütternd. Auf jeden Fall aber hatte sie mir jegliche Angst vor fallenden Sternen genommen.
Als ich den Auenwald erreicht hatte, beendete ich meinen Gedankenflug und gab meinem Ross zu verstehen, dass wir nun über Land reiten wollten. Am Vortag hatten Ismael und ich nur die Burg umrundet, mir stand heute Morgen der Sinn nach einem größeren Ausflug, um zu sehen, wie gut der Verwalter und die Pächter das Land bewirtschafteten. Ich besuchte einige kleine Weiler und verstreut liegende Gehöfte, begutachtete das fette Vieh auf den Weiden, sah etliche Stuten ihre Füllen säugen und erfreute mich an den ungelenken Sprüngen der Lämmer und Zicklein. Der Boden war fruchtbar, die Weiden grün und saftig, die Katen und Höfe einigermaßen in Ordnung gehalten. Das grüne Getreide wogte zwischen Obstgärten und den Kohlfeldern, in den Weingärten waren die Triebe der Reben bereits an den Stöcken aufgebunden, auf den Weihern schwammen Enten und Gänse. Kurzum, Burgvogt Sigmund sollte, wenn er ordentlich die Pacht eintrieb, kein Problem damit haben, seine Abgaben an die Lehnsherren zu entrichten.
Die Sonne war schon hoch gestiegen, als ich den Rand des Bannwalds erreichte.
Es zog mich hinein in den tiefen Forst mit seinen alten Bäumen. Die glatten, silbrigen Stämme der Buchen ragten hoch auf wie schlanke Pfeiler, und ebenso bildete das Geäst über mir Gewölbe wie das einer Kathedrale. Wann immer
ich mich in einem solch ehrwürdigen alten Wald aufhielt, fragte ich mich, wie viel die
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