Das Spiel - Laymon, R: Spiel
abbiss.
Böse. Evil.
Aber ihr eigentliches Interesse galt dem Umschlag, nicht den ästhetischen Vorlieben von Mr. S. Savile.
Aber einen Umschlag konnte sie nirgendwo entdecken.
Das kann dauern, dachte sie.
Mit dem Messer zwischen den Zähnen holte sie Mogs Brief aus der Hemdtasche und las ihn noch einmal gründlich durch:
Meine Schöne,
Gala morgen Abend, Mayr Heights Nr. 901.
Fühl dich in der Zwischenzeit nicht allzu einsam. Du hast doch mich. Ich werde dich heute Nacht besuchen.
Du brauchst nicht aufzubleiben.
Alles Liebe, meiner lieblichen
heißen, feuchten Dienerin
MOG
Eigentlich war nur der erste Satz wirklich von Bedeutung. War vielleicht ein Hinweis in der Anrede versteckt? »Meine Schöne«?
Sofort fiel ihr »Die Schöne und das Biest ein«. Wollte Mog damit andeuten, dass er das Biest war? Und was hatte das alles mit dem Rest der Nachricht zu tun?
Man kann es nie wissen, dachte sie und nahm sich vor, es im Hinterkopf zu behalten.
Märchen. Schon wieder Märchen. Anscheinend hatte Mog seine Gebrüder Grimm genau studiert. Jane kannte diese Geschichten eigentlich nur aus den Disney-Zeichentrickfilmen.
Vielleicht war der Umschlag in einem Märchenbuch? Oder bei einer Videokassette von einem Disney-Film? Vorausgesetzt, Savile besaß eine Videosammlung.
Auf jeden Fall lohnte es sich, die Augen danach offen zu halten.
Und was war mit der »Gala«? Vielleicht hatte Mog auch Poe gelesen. Oder in diesem Haus gab es irgendwo einen Ballsaal. Groß genug dafür war es mit Sicherheit.
Hatte sie einen Hinweis übersehen?
Irgendwie wollte nichts so recht zusammenpassen.
Sie überflog die Buchrücken in den Regalen.
Kein Märchenbuch. Kein Disney. Auch kein Poe oder sonstige Lyrik. Die meisten Bücher enthielten überhaupt keine Geschichten, sondern waren Sachbücher, die sich um zwei Themen zu drehen schienen: Kriminologie und wahre Verbrechen.
»Na fabelhaft«, sagte sie. »Das ist ja ein gutes Zeichen.«
Sie schaltete das Licht aus und ging in den Flur. Auch hier war niemand. Zu ihrer Linken konnte sie mehrere Türen ausmachen.
Am Ende des Flures befand sich ein Foyer samt Treppenaufgang.
Wo hat Mog den Umschlag nur versteckt?
Bestimmt irgendwo, wo sie ihn früher oder später auch finden würde – eine gewisse Anstrengung ihrerseits natürlich vorausgesetzt.
Im ersten Stock.
Im Schlafzimmer. Genau wie im Spukhaus. Das würde auch den Verweis auf »Die Schöne und das Biest« erklären. Und nicht zuletzt hätte sie dort nicht die geringste Chance, S. Savile zu entwischen, sollte er zufällig nach Hause kommen.
Wer weiß, vielleicht wartet dort wieder ein verdammter Sarg auf mich.
Das Foyer wurde durch einen rustikalen Kronleuchter erhellt, der aus dem Rad eines Pferdewagens gefertigt war. Die kerzenförmigen Glühbirnen tauchten den Raum in ein trübes, gelbliches Licht. Jane kam sich vor, als würde sie das Foyer durch ein Glas Apfelwein betrachten.
Jane konnte keine Fenster erkennen, obwohl sie wusste, dass hier welche sein mussten. Sie hatte sie ja schließlich von draußen gesehen. Aber …
Aha.
Schwarze Decken waren wie Gemälde auf Rahmen gespannt und vor die Fenster genagelt.
Da hat sich aber jemand wirklich Mühe gegeben, dachte Jane. Das gefiel ihr überhaupt nicht.
Neben der Tür hing eine Sicherungskette von der Wand. Normalerweise befestigte man sie am Türschloss, sobald man das Haus betrat.
Es schien wirklich niemand zu Hause zu sein.
Vielleicht war S. Savile mit seiner Frau ins Kino gegangen. Vorausgesetzt, es gab überhaupt eine Mrs. Savile. Jane bezweifelte es. Bis jetzt erweckte das Haus nicht den Anschein, als würde eine weibliche Hand darin walten. Genau wie bei Clay.
Dann war er eben allein ausgegangen. Vielleicht hatte er einen Liebhaber.
Oder er ist auf Geschäftsreise. Hoffentlich.
Und kommt gerade in diesem Moment zurück.
Jane drückte die Klinke herunter.
Sie ließ sich mühelos öffnen, und sie spähte hinaus. Die Einfahrt lag in völliger Dunkelheit.
Es wird Zeit, dass ich von hier verschwinde, bevor es zu spät ist, dachte sie.
Aber nicht, ohne vorher die fünfzigtausend Dollar einzusacken. Vielleicht sollte sie sich lieber nach der Hintertür umsehen. Falls sie plötzlich die Flucht ergreifen musste …
Oder ich gehe direkt nach oben, hole den Umschlag und verschwinde von hier.
Sie schloss die Tür und warf einen Blick auf die Treppe. Im ersten Stock brannte kein Licht. Sie verzog das Gesicht.
Vielleicht doch lieber hier unten
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