Das Südsee-Virus
dass er seinen Job bei der »New York Times« gekündigt habe. »Ich dachte mir, dass es auf meine alten Tage nicht schaden könnte, wenn ich mich noch einmal in den Dienst einer richtig guten Sache stellen würde«, sagte Knowles wie zu sich selbst.
»Was meinen Sie?«, fragte Cording überrascht.
»Wenn Maeva, wenn Steve und Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne mit Ihnen reisen. Sozusagen an Sharks Stelle. Ich könnte von Nutzen sein, oder etwa nicht? Wie viel Zeit bleibt mir noch, Cording? Maximal zehn Jahre. Angesichts solcher Perspektive soll sich bei manchen Leuten ja das Bedürfnis entwickeln, mit ihrem Leben etwas Sinnvolles anzufangen …«
Cording musste lachen. Sein Lachen schien den Amerikaner zu beruhigen, der zuvor doch sichtlich nervös gewesen war.
»Fragen Sie Maeva und Steve«, insistierte Knowles, »am besten noch heute. Und legen Sie ein gutes Wort für mich ein, ich würde Ihre kleine Streitmacht nämlich nur ungern wieder verlassen.«
San Francisco, 11. Januar 2029
John Knowles tut uns gut. Sein trockener Humor bringt sogar Maeva zum Lachen, die ansonsten sehr angespannt wirkt. Ab morgen werden wir sie erst mal nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die Informationsministerin Tanith Agosta hat zu einer Rundreise durch die abtrünnige Republik gebeten, die aus den ehemaligen US -Bundesstaaten Kalifornien und Oregon besteht. Höhepunkt soll ein Zusammentreffen Maevas mit den Mitgliedern des Ökorats sein, der sich regelmäßig an wechselnden, geheim gehaltenen Orten trifft.
Keinem von uns ist es erlaubt, Maeva zu begleiten. Nicht einmal ihrer Leibgarde. Außerdem hat uns das Informationsministerium gleich nach der Ankunft unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass man Filmaufnahmen nicht dulden werde. Als Beweis ihrer Gastfreundschaft hat die Ministerin vier diskrete Herren zu unserem »Schutz« abgestellt.
Wirklich überrascht sind wir nicht. Wir wussten es ja vorher: Die Republik mit dem albernen Namen ECOCA ist das Paradebeispiel einer Ökodiktatur. Allerdings macht es einen Unterschied, ob man sie nur vom Hörensagen kennt oder hautnah miterleben darf. John Knowles brachte es mal wieder auf den Punkt: Er nennt diese obskure Weltverbesserungsclique am Pazifik »die Roten Khmer der Ökologie«.
Dabei sind die Grundgesetze, nach denen die Bürger ECOCAS regiert werden, durchaus nachvollziehbar. Nur ihr permanenter Schnelldurchlauf auf den zahlreichen Videoscreens dieser Stadt nervt.
1 ) Die Würde der Erde ist unantastbar
2 ) Genmanipulationen an Pflanzen, Tieren oder Menschen sind verboten
3 ) Die herkömmlichen Zahlungsmittel sind außer Kraft gesetzt. Vegetarische Grundnahrungsmittel, Kleidung und Wohnraum stellt der Staat
4 ) Es besteht Arbeitspflicht. Jeder Bürger zwischen achtzehn und fünfundfünfzig Jahren investiert seine Arbeitskraft in den ökologischen Neuaufbau
5 ) Tiere und Pflanzen genießen unseren Schutz. Schlachthäuser, Zoos und Versuchslabore sind geschlossen
6 ) Es besteht Reiseverbot. Privatfahrzeuge sind bei den zuständigen Stellen abzugeben
7 ) Strom und Wasser sind rationiert. Die Energieversorgung wird über Solarzellen, Wind- und Wasserkraft sowie über Biogas gewährleistet
8 ) Es besteht Bauverbot. Die vorhandenen Bestände werden bei Bedarf instand gehalten
9 ) Private Medien sind verboten. Als Informationsquelle dient das Staatsarchiv
10 ) Jede Frau zwischen achtzehn und fünfunddreißig Jahren hat das Recht auf ein eigenes Kind. Voraussetzung ist ein Gebärgutschein des Gesundheitsamtes
Während ihrer kurzen Begrüßungsansprache hatte Tanith Agosto davon gesprochen, dass man nicht nur bei ihnen, sondern überall auf der Welt bestrebt sein müsse, mindestens drei Menschengenerationen »ruhigzustellen«, um der Erde die Möglichkeit zu geben, wieder kräftig durchzuatmen. »Erst die Erde, dann der Mensch!« So lautet das allgegenwärtige Motto ECOCAS , das sogar die Flagge der Republik ziert. Von den 3 , 7 Millionen Einwohnern Oregons sind seit der Unabhängigkeitserklärung ECOCAS gerade mal 2 , 4 Millionen übrig geblieben. In Kalifornien sank die Einwohnerzahl gar von vierzig auf siebenundzwanzig Millionen. Der Ökostaat lässt die Menschen einfach ziehen. Inzwischen scheint der Aderlass gestoppt, viele Menschen kehren gar zurück. Offensichtlich ist ihnen der Sklavendienst in der Ökodiktatur lieber als die kümmerliche Existenz am Rande einer kollabierenden »freien Gesellschaft«.
Morgen sind John Knowles, Steve und ich eingeladen,
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