Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Toten, raubten, was ihnen in die Hände fiel. Schwerter, Edelsteine, Halsreifen, Schilde. Alles schleppten sie fort, als seien es Ehrenpreise. Ich muss zugeben, die Leichenfledderei wurde nicht nur von den Siegern verübt. Leider habe ich auch Kämpfer von den Uí Fidgente gesehen, die sich nahmen, was sie nur konnten, und mit der Beute vom Schlachtfeld flohen.«
»Auf beiden Seiten sind bei Cnoc Áine viele gefallen«, wiederholte Fidelma mit gedämpfter Stimme.
»Und viele erst nach der Schlacht«, grummelte Temnén.
»Nach der Schlacht?«, fragte Fidelma verwundert. »Wie meinst du das?«
»Viele, wie meine Frau und mein Sohn, wurden umgebracht, nachdem wir die Waffen niedergelegt und uns ergeben hatten.«
»Mein Bruder hätte so etwas nie zugelassen«, beteuerte Fidelma, die von der Behauptung betroffen war.
»Wen hat denn dein Bruder entsandt, um unsere Stammesleutezu befrieden, wie es so schön hieß?«, fragte der Bauer in einem Tonfall, als spräche er über bekannte Tatsachen, die andere nicht wahrhaben wollten.
»Das war Uisnech, der Stammesführer der Eóghanacht Áine«, stellte Gormán klar und fügte sarkastisch hinzu, »und den haben deine angeblich unbewaffneten Krieger in einen Hinterhalt gelockt und erschlagen.«
Temnén setzte eine grimmige Miene auf. »Recht ist ihm geschehen. Er hat das Land verwüstet, hat unsere Leute überfallen und ihre Hütten in Brand gesteckt, bis es nicht mehr zu ertragen war. Auf einem abgelegenen Hang hat man ihn erwischt und niedergemetzelt.« Er seufzte herzergreifend. »Sein Tod hat mir Frau und Kind nicht wiedergebracht.«
Fidelma schwieg. Der Mann übertrieb nicht. Uisnech war sie nur zweimal begegnet und hatte instinktiv gespürt, dass man ihm nicht trauen konnte. »Ich habe keine Ahnung gehabt, was da vorging«, sagte sie nach einer Weile, »und mein Bruder wohl auch nicht. Er hatte Uisnech nach der Schlacht die Befehlsgewalt übertragen. Er sollte die in Schach halten, die sich gegen den Waffenstillstand sträubten. Später kam dann Donennach nach Cashel und schloss einen Vertrag für die Uí Fidgente. Wir wussten nur, dass Uisnech noch kurz vor dem Friedensschluss bei einem Handgemenge ums Leben gekommen ist.«
Temnén nickte bedächtig. »Schlimme Tage waren das. Vergessen kann man die kaum.« Er richtete sich auf und lachte zynisch. »Wenn es stimmt, hat Uisnech wenigstens eine Sache gut gemacht. Er hat Lorcán, den Sohn von Fürst Eoganán, erschlagen. Das war ein niederträchtiger und grausamer Kerl.«
»Hieß Eoganáns Sohn nicht Torcán?«, fragte Eadulf. Dunkel kam ihm die Erinnerung an eine frühere Begegnung.
»Eoganán hatte drei Söhne. Torcán war der älteste«, erläuterteTemnén. »Die anderen beiden waren …« Er benutzte das Wort emonach , das Eadulf nicht kannte.
Fidelma übersetzte es ihm: »Zwillinge.«
»Sie waren einander so ähnlich wie ein Ei dem anderen«, bestätigte Temnén. »Doch ihrem Charakter nach hätten sie von unterschiedlichen Eltern stammen können. Lorcán war erbarmungslos, moralische Skrupel selbst gegenüber den eigenen Leuten kannte er nicht. Dem hat keiner eine Träne nachgeweint, als er umkam. Bei Cnoc Áine hatte er seinen kurzen Triumph, als es hieß, er hätte König Colgú erschlagen. Er rannte mit dem Schild des Königs umher und prahlte, er habe ihn getötet. Aber das erwies sich rasch als falsch.«
»Lorcán war es also, der in der Schlacht fiel.«
»Nein, er ist erst nach der Schlacht umgekommen. Uisnech nahm ihn gefangen und hat ihn dann niedergemacht. Aber es blieb nicht bei dem einen, auch bei verdammt vielen von unseren Leuten kannte er keine Gnade.«
»Warum hast du bei Cnoc Áine mitgekämpft?«, fragte ihn Eadulf verhalten.
»Ich war ein bó-aire , ein junger Adliger. Als Eoganáns Boten mit dem flammenden Kreuz über Land ritten und alle Clans zum Heerbann aufriefen, habe ich meine Waffen und mein Pferd genommen, habe meiner Frau und dem Kind Lebewohl gesagt und bin davongezogen. Wir waren jung damals, und die Begeisterung, für unseren Stamm zu kämpfen, lief wie ein berauschender Trunk durch unsere Adern. Wir waren wie besoffen davon.«
»Und du hast dir nie die Frage gestellt, ob Eoganáns Anspruch moralisch gerechtfertigt war?«
Wieder lächelte der Mann, doch es war ein bitteres Lächeln. »Wie kann ein einfacher Krieger einschätzen, was moralisch ist oder unmoralisch? Solche Bedenken können sichKönige leisten oder Philosophen, aber nicht Krieger. Stellst du etwa deinen
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