Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
standen.
»Wie wär’s mit einem Schluck corma ?«, fragte er rundum, »das vertreibt die Winterkälte.« Alle stimmten freudig zu.
Während er die Becher füllte, sagte er über die Schulter: »Wir waren gerade dabei, uns miteinander bekanntzumachen. Wenn du Bruder Eadulf bist, dann bist du, Lady …«
»Mein Name ist Fidelma«, erwiderte sie. »Unser Gefährte ist Gormán.«
Temnén drehte sich mit den Bechern in der Hand um, schaute Fidelma und Eadulf prüfend an und reichte ihnen das Getränk. Dann schenkte er sich und Gormán ein, hobseinen Becher zu einem wortlosen Trinkspruch, und alle nahmen einen ersten Schluck von dem feurigen Zeug. Mit einer Handbewegung lud er sie ein, sich um die Herdstelle in der Mitte des Raums zu setzen, in der glühende Torfbrocken angenehme Wärme verbreiteten.
»Nehmt eure Umhänge ab, dann werdet ihr schneller trocken. Ihr seid ja nass bis auf die Knochen.« Nur zu gern folgten sie seiner Aufforderung.
»Du heißt also Temnén und lebst hier als Bauer«, begann Fidelma das Gespräch.
Er neigte ergeben den Kopf. »Das ist jetzt mein Los, Lady. Ich bearbeite mein Stück Land und halte ein paar Kühe und Schweine und zwei Pferde, und der Hund ist mein ständiger Begleiter.«
»Wie ein Bauer siehst du aber nicht aus«, bemerkte Eadulf.
»Wie muss denn deiner Meinung nach ein Bauer aussehen?«, fragte der Mann und lachte.
Eadulf zuckte die Achseln. »Eigentlich kann ich das nur beantworten, wenn ich einen leibhaftig vor mir habe. Du siehst nicht aus wie einer, der sein Leben lang den Acker gepflügt oder das Vieh versorgt hat.«
Temnén schaute ihn nachdenklich an, sagte dann aber nur: »Was treibt eine Prinzessin von Cashel und ihren Mann ins Gebiet der Uí Fidgente?«
Gormán runzelte die Stirn und warf Fidelma einen Blick zu. Temnén sah das und beschwichtigte ihn.
»Keine Sorge, Krieger – du bist doch ein Krieger von Cashel, oder nicht? Seltsam ist freilich, dass so ein Kämpfer nur eine leere Schwertscheide bei sich hat und auch nicht sein Rangabzeichen, den Goldenen Halsreif, trägt. Aber weit und breit kann es nur einen Bruder Eadulf geben, und die Geschichten über Schwester Fidelma und Bruder Eadulfwerden Abend für Abend an so mancher Herdstelle erzählt.«
Fidelma schmunzelte. »Das zu hören schmeichelt uns, das Klosterleben habe ich allerdings aufgegeben.«
»Ich habe schon davon gehört, dass du lieber dem Gesetz und dem Gerichtswesen dienst als dem Glauben hinter Klostermauern. Doch um auf meine Frage zurückzukommen, was führt euch her, abgesehen davon, dass ihr hier vor dem Unwetter Schutz sucht?«
»Für einen Bauern, der sein Land beackert, weißt du erstaunlich gut Bescheid«, warf Eadulf ein.
»Ich habe es mir zur Regel gemacht, von dem, was um mich herum geschieht, so viel zu erfahren wie eben möglich. Heißt nicht eine alte Redensart: ›Wissen ist Macht‹?«
»Fragt sich nur, welche Macht du erstrebst, mein Freund«, erwiderte Eadulf.
»Mir geht es um Wissen, das mich in die Lage versetzt, mich selbst und meine Leute zu beschützen.«
Als Fidelma sich daraufhin im Raum umschaute, lachte er. »Du schaust dich nach Anzeichen von Frau und Kind um. Leider wirst du keine finden. Meine Frau wurde vor ein paar Jahren umgebracht, und mein Sohn kam ebenfalls um. Er war noch ein Säugling und konnte ohne Muttermilch nicht leben. Eine schlimme Zeit war das damals.«
Er erzählte das ohne Verbitterung, fast teilnahmslos, als spräche er über jemand anderen.
»Sprichst du von den Jahren, als die Gelbe Pest uns heimsuchte?«, erkundigte sich Fidelma.
»Ich rede von der Zeit nach unserer Niederlage bei Cnoc Áine.« Ein bitteres Lächeln spielte um seine Lippen. »Wirklich schlimm war das damals. Wer vergessen kann, sollte es lieber vergessen.«
»In dem sinnlosen Konflikt damals sind viele umgekommen«, sagte Fidelma mit Nachdruck.
»Viel zu viele«, stimmte ihr Temnén zu, und man spürte, dass Zorn in ihm aufstieg.
»Dann warst du also auch ein Krieger?«, schlussfolgerte Gormán.
»Jedenfalls nicht aus eigenem Antrieb.«
»Aber du hast mitgekämpft in der Schlacht?«
»Ich erinnere mich nur, dass ich dort zwischen Toten und Sterbenden auf den Abhängen umhergewankt bin. Ich habe noch Glück gehabt. Nach einem Schlag auf den Kopf war ich bewusstlos, und als ich zu mir kam, war die Schlacht vorüber. Immer noch sehe ich die menschlichen Geier vor mir, die über das Schlachtfeld schlichen und von den Toten, auch von den noch nicht ganz
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