Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
brauchen.«
Doktor Pfeiffer und Jana zerrten Tomek über die Treppe nach oben. Bei jedem Schritt stießen die schlaffen Beine des Bewusstlosen gegen den Treppenabsatz und verursachten ein dumpfes Geräusch. Jana mochte sich gar nicht vorstellen, wie viele blaue Flecken Tomek morgen auf seinen Schienbeinen entdecken würde.
»Was hat der Mann bloß gegessen, dass er so schwer ist?«, fragte Doktor Pfeiffer.
»Die Frage ist eher, was hat er getrunken, dass er auch bei einer solchen Behandlung nicht wach wird.«
»Zweifelsohne zu viel.« Der Arzt schnaufte.
Vor der Kammer machten sie halt und bemühten sich, den schlaffen Mann mit dem Rücken gegen die Wand zu lehnen, aber er sackte sofort zusammen. Rasch drückte Doktor Pfeiffer ihm beide Hände gegen die Brust und hielt ihn so fest.
»Bleibt stehen«, befahl er mit scharfer Stimme, so als könnte Tomek ihn hören.
Jana öffnete die Kammertür, und dann zerrten sie den Betrunkenen bis zum Bett, wo sie ihn einfach losließen. Krachend landete der Körper auf der Matratze, der Kopf knallte dabei gegen die hölzerne Bettkante.
»Autsch«, sagte Doktor Pfeiffer und verzog das Gesicht.
»Keine Sorge, er wird morgen nicht wissen, woher der Kopfschmerz kommt.«
Jana rieb sich die Hände an ihrem Rock sauber. Sie fühlten sich so klebrig an, als hätte sie gerade etwas sehr Schmutziges angefasst. Dann klopfte sie den Stoff wieder glatt.
»Na, dann wollen wir mal zurück zum Schweinebraten, bevor er völlig kalt wird«, meinte Doktor Pfeiffer und wandte sich wieder zur Tür.
Aber Jana hielt ihn am Ärmel zurück.
»Hattet Ihr Gelegenheit, Euch mit dem Buch zu beschäftigen, das ich Euch gegeben habe?«
Conrad Pfeiffer schwieg einen Moment. Endlich sagte er: »Ja, das habe ich, und Ihr hattet recht. Es ist ein außergewöhnlicher Text.«
Jana wollte es genau wissen. »Was steht denn nun in dem Buch?«
Doktor Pfeiffer starrte auf Janas Hand, die immer noch seinen Ärmel umklammerte. Offensichtlich mochte er es gar nicht, wenn man ihn festhielt. Jana ließ ihn los und sah verlegen zu Tomek, der leblos auf dem Bauch lag und nun laut schnarchte.
»Euer Vater hat den Text bereits weitgehend enträtselt. Es handelt sich tatsächlich um einen Reisebericht eines Jesuitenpaters. Der Geistliche beschreibt bis ins kleinste, unappetitliche Detail, wie grausam die Spanier und Portugiesen die Einwohner der Neuen Welt abschlachten und ausbeuten. Ich erspare Euch die Einzelheiten.«
»Ich bin nicht so zart besaitet, wie Ihr glaubt«, sagte Jana.
»Zur Abschreckung zieht man ihnen die Haut bei lebendigem Leib ab und übergießt sie mit siedendem …«
Jana streckte ihm abwehrend beide Hände entgegen. »Ich nehme alles zurück. Vielleicht will ich es doch nicht hören.«
»Die Lektüre dieses Teils hat auch mir keine Freude gemacht. Aber den Gräueltaten folgten sehr interessante Abschnitte über seltsame Pflanzen. Angeblich kann man aus ihnen ein Gift herstellen, das die Muskeln des Menschen innerhalb kurzer Zeit lähmt. Stellt Euch bloß vor, vielleicht könnte man dieses Gift in geringen Dosen für Operationen verwenden!« Die Augen des Arztes glänzten vor Begeisterung.
»Und was noch?«, fragt Jana ungeduldig.
Tomek rülpste laut, schmatzte und schnarchte dann weiter.
»Die Menschen in der Neuen Welt besitzen anscheinend Geräte, mit denen sie das Universum gut beobachten können. Auch sie beschreiben die Welt als Kugel, die sich um die Sonne dreht.«
Jana hielt für einen Moment die Luft an. All das waren Dinge, von denen die katholische Kirche verhindern wollte, dass sie bekannt wurden.
»Glaubt Ihr, dass der Inhalt des Buches Grund dafür sein kann, jemanden zu ermorden?«
Doktor Pfeiffer zuckte mit den Schultern: »Menschen sind schon aus geringeren Gründen zu Mördern geworden.«
Janas Unterkiefer verkrampfte sich. Sie hatte also mit ihrem Verdacht vielleicht recht gehabt. Neben der Neugier stieg in ihr noch ein anderes Gefühl auf, eines, das nach Gerechtigkeit und Wahrheit verlangte.
»Das Buch ist leider nicht vollständig«, fuhr Doktor Pfeiffer fort und riss Jana aus ihren Überlegungen. »Immer dann, wenn etwas Spannendes erzählt wird, bricht der Text ab, manchmal sogar mitten im Satz. Vieles von dem, was ich Euch eben erzählt habe, sind bloß Vermutungen von mir. Ich habe versucht, die Stellen zu vervollständigen. Hin und wieder gelang es, aber bei vielen Passagen eben nicht.«
»Es gibt also noch weitere Teile?«
»Ich denke, das hat Euer
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