Das System
blaue Flecken eingehandelt, aber dafür den Respekt des Klassentyrannen gewonnen – und
Ludgers Freundschaft. Sie waren Freunde geblieben, auch als Mark nach seinem Examen als Product Manager bei einer großen Computerfirma
gearbeitet hatte. Er hatte Ludger einen Job in der Entwicklungsabteilung vermittelt. Dann hatten sie sich beide mit Distributed
Intelligence selbständig gemacht.
Es gab vielleicht ein paar Leute, die Ludger einen weltfremden Träumer genannt hätten. Aber ganz sicher niemanden, dem er
auch nur den geringsten Grund gegeben hatte, ihn zu hassen.
Eine Fliege summte über Ludgers Kopf, setzte sich nieder und kroch über die kalte Wange. Mark machte einen Schritt vor, um
sie zu verscheuchen. Jemand fasste ihn am Arm. »Sie dürfen nichts berühren. Die Spurensicherung hat den Raum noch nicht freigegeben.«
Mark fuhr herum. Es war einer der Männer, die mit Mary geredet hatten: Anfang vierzig, Dreitagebart, kurz geschnittenes Haar.
Er streckte die Hand aus. »Hauptkommissar Unger. Ich leite die Ermittlungen.«
Mark nickte nur.
|41| »Können wir vielleicht irgendwo ungestört reden?«
Mark führte ihn in sein Büro. Er fühlte sich seltsam leicht, unwirklich. Er setzte sich an seinen Schreibtisch.
Unger wandte ihm den Rücken zu und sah aus dem Fenster. »Netter Ausblick.«
Mark sagte nichts.
Der Kommissar drehte sich zu ihm um. »Sie sind der Chef hier, nicht wahr?«
»Wir sind … waren ein Team, Ludger und ich. Wir beide haben die Firma gegründet. Er war für die Technik zuständig, ich für
das Kaufmännische.«
»Frau Andresen hat mir gesagt, Sie seien der Vorstandsvorsitzende.«
»Formal ist das richtig, aber wir haben das hier nie so gesehen. Wie ich schon sagte, wir sind ein Team und treffen alle wichtigen
Entscheidungen gemeinsam.«
Unger trat dicht an den Schreibtisch heran, setzte sich jedoch nicht auf einen der Besucherstühle. »Haben Sie eine Idee, wer
das getan haben könnte? Und warum?«
»Nein. Ludger hatte keine Feinde.«
»Offenbar doch.«
Mark schüttelte den Kopf. »Ich kenne ihn seit der Schule. Er war immer freundlich zu allen. Niemand hier hatte einen Grund,
ihn zu ermorden, da bin ich ganz sicher.«
»Und doch hat es jemand getan.«
Mark ließ seine Finger geistesabwesend über die Bronzestatue eines Bullen gleiten, die noch immer auf seinem Schreibtisch
stand – Symbol eines längst verblassten Börsentraums.
»Ein Einbrecher vielleicht …«
»Es gibt keine Einbruchsspuren. Außerdem ist Hamacher hinterrücks erschlagen worden. Er konnte von seinem Schreibtisch aus
die Tür zu seinem Arbeitszimmer sehen. Wenn ein Einbrecher im Büro gewesen wäre, hätte er sich gewehrt, vielleicht versucht,
zu fliehen, doch stattdessen ist er einfach sitzen |42| geblieben. Er muss den Mörder gut gekannt und ihm vertraut haben.« Unger sah ihn mit seinen blaugrauen Augen lange an. »Wo
waren Sie gestern Abend zwischen 21 und 22 Uhr?«
Natürlich musste der Kommissar diese Frage stellen. Sie hatten sich gestritten, alle hatten es mitbekommen. Und Ludger war
von jemandem erschlagen worden, den er gut gekannt, dem er vertraut hatte. Plötzlich fühlte Mark sich schuldig, so als habe
er mit seinem dummen Verhalten diese Katastrophe irgendwie verursacht.
»Zu Hause.«
»Gibt es Zeugen?«
»Nein. Ich war allein. Meine Frau war bei ihren Eltern. Sie wohnen um die Ecke.«
Unger machte ein überraschtes Gesicht.
»Wir hatten Streit. Eine Lappalie. Ich hab mich blöd benommen.«
»Einige Mitarbeiter sagen, dass es gestern auch Streit zwischen Hamacher und Ihnen gab.«
Mark nickte. »Das stimmt.«
»Worum ging es?«
»Wir hatten eine Präsentation vor dem Aufsichtsrat. Ist nicht gut gelaufen.«
Ungers Stimme wurde plötzlich schneidend. »Sie haben sich gestritten. Sie haben wütend das Büro verlassen. Dann sind Sie noch
mal zurückgekehrt, vielleicht, um sich zu entschuldigen. Doch der Streit ist erneut eskaliert, und Sie haben ihn erschlagen!«
Mark schüttelte nur traurig den Kopf. »So war es nicht. Ich war den ganzen Abend zu Hause.«
»Können Sie mir bitte genau sagen, worum es in dem Streit mit Hamacher ging?«
»DINA hat in der Präsentation ein paar merkwürdige Dinge gesagt, und …«
»Dina? Wer ist diese Dina?«
|43| »DINA ist unsere Software. D-I-N-A. Das steht für Distributed Intelligent Network Agent. Eine Anwendung für Distributed Computing.«
»Können Sie das so erklären, dass es auch ein Polizist
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