Das System
»Frau Andresen, machen Sie bitte sofort die Tür auf! Wir haben Hinweise darauf, dass sich Mark Helius bei Ihnen
aufhält. Er steht unter dringendem Tatverdacht.«
»Mark? Unmöglich! Er war es nicht!«
»Das herauszufinden ist unsere Aufgabe. Wenn er unschuldig |74| ist, wird ihm nichts geschehen. Jetzt öffnen Sie bitte die Tür!«
»Haben Sie denn einen Durchsuchungsbefehl?«
»Ich brauche keinen Durchsuchungsbefehl bei Gefahr im Verzug«.
»Gefahr? Was für eine Gefahr?«
»Die Gefahr, dass sich ein gesuchter Mörder bei Ihnen aufhält und entkommt, wenn Sie jetzt nicht sofort aufmachen!«
Mark hörte, dass der Kommissar die Geduld verlor. Wenn Mary den Bogen überspannte, würde er bald merken, dass etwas nicht
stimmte. Zum Glück hatte sie das ebenfalls begriffen. Er hörte, wie sie umständlich die Sicherheitskette öffnete.
Vorsichtig spähte er um die Ecke und sah, wie die beiden Polizisten mit gezogenen Waffen in die Wohnung gingen. »Sie bleiben
im Eingangsbereich!«, sagte Unger zu seinem Kollegen. »Falls er mir hier drin durch die Lappen geht!«
Mist! Mark hatte gehofft, sich an der Wohnung vorbeischleichen zu können, während die Polizisten drinnen nach ihm suchten.
Das würde verdammt schwer werden, wenn einer der beiden im Flur blieb und die Wohnungstür geöffnet war.
Andererseits war die Gefahr sehr groß, dass sie das Treppenhaus nach ihm absuchten, wenn sie ihn in Marys Wohnung nicht fanden.
Was also sollte er tun?
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als er hörte, wie im Stockwerk über ihm eine Tür geöffnet wurde und jemand die Treppe
herunterkam. Wenn man ihn hier sah, war es vorbei.
So leise wie möglich schlich er die Stufen hinab und versuchte dabei, seine Schritte mit denen der Person über ihm zu synchronisieren.
Er hielt den Atem an, als er sich dicht an der Wand bis zu Marys Wohnungstür vorschob. Die Person auf der Treppe kam mit knarzenden
Schritten näher. Jeden Moment musste sie um die Biegung kommen und ihn sehen.
|75| »Hier drin scheint niemand zu sein«, sagte Kommissar Unger drinnen. »Wir sehen uns besser mal im Treppenhaus um.«
Jetzt oder nie. Mark sprang vor und zog Marys Wohnungstür mit einem Knall ins Schloss. Mit großen Sätzen sprang er die Stufen
hinab. Er gewann eine halbe Etage Vorsprung, bis die überraschten Polizisten die Wohnungstür geöffnet hatten und ihm nachsetzten.
»Verfluchte Scheiße! Chef! Chef, hier ist er! Bleiben Sie stehen, verdammt noch mal! Polizei!«
Mark erreichte die Haustür und schaffte es, sie von außen abzuschließen, bevor Dreek unten ankam. Den Schlüssel warf er außer
Reichweite auf den Boden.
Das Gesicht des jungen Polizisten war wutverzerrt. Er rüttelte am Türgriff, dann richtete er seine Pistole hinter der Glasscheibe
der Jugendstiltür auf den Flüchtenden.
»Ich bin unschuldig!«, brüllte Mark und rannte los.
Dreek schoss nicht.
[ Menü ]
18.
Hamburg-Eppendorf,
Donnerstag 21:30 Uhr
Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt war ihnen der Kerl zum zweiten Mal durch die Lappen gegangen! »Das wird ein Nachspiel
haben!«, brüllte Unger. »Das ist Beihilfe zum … zur … Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt!«
»Er war es nicht«, sagte Andresen gelassen. Ihre Augen blitzten.
Unger versuchte, sich etwas zu beruhigen. »Wenn er es nicht war, wieso ist er dann geflohen?«
»Weil Sie ihm nicht glauben. Weil er nicht erwarten kann, dass Sie wirklich nach dem wahren Täter suchen. Weil der Mörder
noch mehr Indizien fälschen wird.«
|76| »Und deshalb haben Sie ihn hier versteckt?«
»Ich habe ihn nicht versteckt. Wir haben gemeinsam versucht, im Firmennetzwerk von D. I. Hinweise auf den Mörder zu finden.
Leider ohne Erfolg.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort!«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Wohin ist er jetzt?«
»Wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen bestimmt nicht sagen.«
»Wir kriegen ihn, Frau Andresen, verlassen Sie sich drauf. Und Sie hängen mit drin! Wer weiß, vielleicht haben Sie ihm ja
geholfen. Schließlich profitieren Sie als Finanzchefin besonders von dem Geld der Lebensversicherung von Hamacher.«
Andresens Gesicht wurde weiß. Eine Sekunde lang dachte Unger, dass sie tatsächlich Helius’ Komplizin war. Doch ihr Mund und
ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und er erkannte, dass sie blass geworden war vor Wut.
»Sie … Sie borniertes Arschloch!«, zischte sie und knallte die Tür in sein Gesicht.
»Das ist
Weitere Kostenlose Bücher