Das System
»Morgenpost«. Er fand einen knappen Artikel über den Mord
an Ludger – für die Zeitung etwas Alltägliches –, aber zum Glück wurden sein Name und seine Flucht nicht erwähnt. Noch nicht.
Der Fahrkartenschalter öffnete um sechs. Einem Impuls folgend kaufte Mark ein Ticket nach Köln, zweite Klasse, einfache Fahrt.
Er würde natürlich schon in Münster aussteigen. Falls die Polizei herausfand, bis zu welchem Ziel er gebucht hatte, würden
sie in die Irre laufen.
»Haben Sie eine Bahncard?«, fragte ihn die freundliche Kundenberaterin.
Ehe Mark sich selbst daran hindern konnte, hatte er die Plastikkarte schon aus seinem Portemonnaie geholt. Er zögerte einen
Moment, dachte an seine persönlichen Daten, die darauf gespeichert waren.
Die Kundenberaterin runzelte die Stirn. »Darf ich die Karte bitte kurz haben?«
Einen Moment dachte Mark daran, einfach wegzulaufen. Aber damit hätte er bloß Verdacht erregt. Also gab er ihr die Karte.
|82| Sie zog das Ding durch einen Magnetscanner. Kein Alarm ertönte, und sie griff auch nicht zum Telefonhörer. »Das macht dann
zweiunddreißig Euro«, sagte sie nur. »Der ICE geht um sechs Uhr siebenundfünfzig aus Gleis drei.«
Mark sah auf die Uhr. Noch mehr als eine Dreiviertelstunde. »Gibt es keine frühere Verbindung?«
Die Kundenberaterin schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«
»Okay, vielen Dank.«
Mark ging zum Bahnsteig und lief dort nervös auf und ab. Nebenan tummelten sich Dutzende Berufspendler, die mit der Regionalbahn
nach Hamburg fuhren. Offenbar wollte niemand um diese Zeit in die andere Richtung. Marks Anspannung steigerte sich. Er fühlte
sich wie ein Maulwurf, der bei grellem Tageslicht auf einer Wiese herumkroch, blind, den scharfen Blicken der Bussarde schutzlos
ausgeliefert. Es war gefährlich, auf der Stelle zu verharren. Er musste hier weg, so schnell wie möglich.
Ein Zug lief ein – die Regionalbahn Richtung Maschen. Mark unterdrückte den Impuls, einfach einzusteigen. Er blickte ihm nach,
wie er langsam aus dem Bahnhof rollte. Dann sah er etwas, das ihm einen gehörigen Schrecken einjagte: In den Fenstern des
Zuges spiegelte sich ein blaues, rhythmisches Flackern.
Sie waren hier! Jetzt schon!
Eine monotone Stimme kam aus dem Lautsprecher: »Auf Gleis drei fährt ein: Metronom nach Bremen, über Buchholz, Sprötze, Tostedt,
Lauenbrück, Scheeßel und Rotenburg, planmäßige Abfahrt sechs Uhr siebenundzwanzig. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges!«
Mark sah sich um. Auf dem leeren Bahnsteig gab es kaum eine Versteckmöglichkeit. Er stellte sich hinter eine Säule. So war
er wenigstens von der Bahnsteigüberführung aus nicht zu sehen. Aber das würde wenig nützen – wenn die Polizisten wussten,
wohin sein Ticket gebucht war, würden sie herunterkommen.
|83| Sollte er versuchen, die Treppe zur Überführung hinaufzulaufen und auf den anderen Bahnsteig zu wechseln? Zu riskant: Möglicherweise
liefe er dann der Polizei direkt in die Arme. Über die Gleise konnte er auch nicht fliehen, ohne dass die vielen Pendler auf
dem anderen Bahnsteig das bemerkten. Sein Herz raste, als er zwischen dem Treppenaufgang und dem leeren Gleis hin und her
sah.
Quälend langsam kroch das Dreieck aus Scheinwerfern auf den Bahnhof zu, wie ein ferner Hoffnungsschimmer in der Nacht. Mark
sah hastige Bewegungen oben auf der Überführung. Ein Mann stürzte die Treppe herunter, auf ihn zu.
Doch es war kein Polizist. Zumindest trug er keine Uniform. Mark sah den Mann misstrauisch an, doch der Fremde beachtete ihn
nicht. Er blieb schwer atmend stehen und sah in Richtung des einfahrenden Zugs. Offenbar nur ein Fahrgast, der den Metronom
noch erwischen wollte.
Die Bremsen schrillten, als sich der blaugelb lackierte, doppelstöckige Zug endlich in den Bahnhof schob. Mark stieg ein und
setzte sich ans Fenster im oberen Wagenbereich. Jetzt sah er einen Mann in Uniform die Treppe hinablaufen, dann noch einen.
Erleichtert hörte er das Zischen und Klappern der sich schließenden Türen. Die Polizisten rannten über den Bahnsteig, gestikulierten,
doch der Zug hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und hielt nicht mehr an.
Die beiden blickten sich auf dem Bahnsteig um. Einer schaute in Richtung des Wagens, in dem Mark saß, und für eine Sekunde
trafen sich ihre Blicke. Hatte der Polizist ihn erkannt? Er sah noch, wie der Beamte in ein Funkgerät sprach, dann rollte
der Metronom aus dem Bahnhof.
»Tut mir leid,
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