Das System

Nummer 32, London, United Kingdom.«
    »Sie waren am Wochenende in England?«
    »Ich bin jedes Wochenende in London. Wie gesagt, dort ist mein richtiges Zuhause. Am letzten Mittwoch, nach der Aufsichtsratssitzung,
     habe ich die Maschine um 18:30 Uhr genommen. Irgendwo muss noch meine Bordkarte sein, wenn Sie die sehen wollen.«
    »Schon gut. Haben Sie einen Verdacht, wer Hamacher und Erling getötet haben könnte?«
    »Ist das nicht offensichtlich, Herr Kommissar?« Seine Stimme klang, als versuche er, einem Zehntklässler das Einmaleins beizubringen.
    Unger spürte, wie er einen roten Kopf bekam. Ganz ruhig bleiben. Er durfte sich keine Blöße geben.
    |185| »Wenn es so offensichtlich wäre, hätte ich wohl nicht gefragt.«
    »Helius war es. Er hat Mist gebaut und versucht, es zu vertuschen. Warum sonst sollte er vor der Polizei fliehen?«
    »Sie sagten, er war hier und hat Ihnen eine Geschichte erzählt. Was war das?«
    »Irgendein Quatsch.«
    »Geht es vielleicht etwas präziser, Mr. Grimes?«
    »Er sagte etwas davon, dass wir den DINA-Kernel-Server abschalten sollten. Das ist das Herzstück dieser Firma. Wenn wir ihn
     abschalten, machen wir keinen Umsatz mehr.«
    »Warum wollte er, dass dieser Kernserver abgeschaltet wird?«
    Grimes zuckte mit den Schultern. »Ein reines Ablenkungsmanöver, nehme ich an.«
    Unger konnte nicht anders, er musste diesen arroganten Idioten von seinem Sockel holen. »Sie glauben ernsthaft, dass Helius
     zwei seiner Mitarbeiter umbringt und dann am Montagmorgen hier auftaucht, um Sie zu bitten, einen Server herunterzufahren
     – als Ablenkungsmanöver?« Er versuchte, seine Stimme herablassend klingen zu lassen, hatte darin aber nicht viel Übung. Trotzdem,
     es wirkte.
    Grimes wurde noch eine Spur blasser, als er ohnehin schon war. Seine Augen verengten sich. »Heißt es nicht, Mörder kehren
     immer an den Tatort zurück?«
    Jetzt war es an Unger, zu lächeln. »In Krimis vielleicht.«
    Grimes lehnte sich zurück. »Vielleicht hatte Helius noch einen anderen Grund. Vielleicht wollte er Spuren verwischen. Vielleicht
     ist etwas auf dem Kernel-Server von DINA, das erklärt, warum er seine Kollegen umgebracht hat. Im Übrigen wusste er ja nicht,
     dass ich hier bin. Er hat gedacht, er könnte hier einfach reinspazieren und das Ding abschalten.« Er lächelte genüsslich.
     »Das wäre doch möglich, oder?«
    Unger zuckte innerlich zusammen. Grimes hatte natürlich recht. Er hatte sich von seiner spontanen Abneigung gegen |186| den Dicken in die Irre führen lassen und ihn unterschätzt. Grimes hatte sich dumm gestellt und ihn vorgeführt.
    Unger nickte und hoffte, dass man das Knirschen seiner Zähne nicht hörte. Weitere Peinlichkeiten wurden ihm erspart, denn
     in diesem Moment flog die Tür auf und ein breitschultriger Mann mit dunklen Haaren und Vollbart kam herein.
    »Mr. Grimes, wir haben ein Problem!«, sagte er.
    »Nicht jetzt, Herr Tümmler.« Unger erinnerte sich, dass Martin Tümmler der Leiter des Programmierteams war und damit Hamachers
     Nachfolger.
    »Entschuldigen Sie, aber es ist dringend. Jemand hat den Source Code gelöscht.«

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    45.
    Hamburg-Hafencity,
    Montag 10:03 Uhr
    Grimes sprang so heftig von seinem Stuhl auf, dass dieser beinahe umkippte. »Was?«, brüllte er. Sein blasses Gesicht war in
     Sekundenschnelle rot angelaufen.
    Tümmler, der Grimes um fast einen Kopf überragte, zuckte zusammen. »Die Source Codes im Netzwerk sind alle mindestens drei
     Monate alt. Die aktuellen Codes sind nicht mehr da. Tut mir leid.«
    »Was ist mit den Backups?«
    Tümmler sah zu Boden. »Die enthalten auch nur alte Dateien.«
    »Das kann doch nicht wahr sein! Stupid idiots! So eine Schlamperei habe ich noch nie erlebt!« Grimes’ Kopf schien von innen
     rot zu leuchten. »Wenn das stimmt, Tümmler, dann sind Sie Ihren Job los! Dann können Sie froh sein, wenn die Müllabfuhr Sie
     noch nimmt!«
    »Ich kann mir das auch nicht erklären, Mr. Grimes«, sagte |187| der Gescholtene kleinlaut. »Wir haben regelmäßig Backups gemacht. Aber irgendwie hat das Backup-Programm nur die veralteten
     Dateien auf die CD gebrannt. Wir haben natürlich nicht jede einzelne CD noch mal überprüft, und …«
    »Das hätten Sie aber tun müssen, verdammt noch mal! Drei Monate down the drain! Das gibt’s doch nicht!«
    »Da ist noch was …«
    »Was?«
    »Jemand hat den Zugangscode zum Serverraum verändert. Ich wollte gerade nachsehen, ob da vielleicht noch eine Backup-CD im