Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
die Tür in den Raum hallte. Wie Fleischstücke, die von der Decke fielen und blutspritzend auf dem Boden aufklatschten.
Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Irgendwann glaubte ich, nicht mehr allein in dem Raum zu sein. Dann spürte ich , dass noch jemand h ier war. Mehrere Personen. S ie flüsterten. Kinder. Sie wisperten mir zu. Es begann mit einem kaum verständlichen »Jacky?«, das mit jeder Wiederholung deutlicher wurde.
»Ist da jemand?«, fragte ich und erschrak vor meiner eigenen Stimme. Als Antwort hörte ich nur das hastige Laufgeräusch der Ratte. Das Wasser tropfte nun von mehreren Stellen auf den Boden. Auch das Platschen vor der Tür schien lauter und häufiger zu werden.
»Jacky, spiel mit uns«, sagte eine Kinderstimme. Sie war ganz nah. Das Kind war keinen Meter von mir entfernt. Ich sprang hoch und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Aber außer einem undurchdringlichen Schwarz sah ich nichts.
Ich tastete mich an der Tür hoch. Mit schmerzenden Ballen donnerte ich die Fäuste gegen das Holz. »Lasst mich raus!«, brüllte ich.
»Spiel mit uns, Jacky!«
Ich schrie, bis meine Stimmbänder ihren Dienst verweigerten. Hinter mir brüllten die Kinder, als würde ihnen jemand größtmöglichen Schmerz zufügen. Ich weinte hysterisch, lehnte mich mit bebendem Körper gegen die Tür, bis sie schließlich von meinem Vater aufgerissen wurde, er mich vom Boden aufhob und nach oben trug .
Meine Eltern versuchten, mich zu beruhigen. Meine Mutter verband meine blutenden Hände, während ich auf den Oberschenkeln meines Vaters saß, der mir immer wieder beteuerte, in dem Raum wäre nichts. Doch ich schwor, dass ich diese Kinderstimmen gehört hatte – und ich konnte sie heute noch hören, wenn es regnete und der Wind vom Garten um die Ecken des Hauses pfiff.
Am Abend schrieb ich in mein Tagebuch. Ich fragte Any, was dort unten im Keller passiert war und sie schickte mir als Antwort ein Bild: Ich stieg über die Stufen in den Keller, steckte den Schlüssel in das Schloss und öffnete die Tür. Ich leuchtete mit der Taschenlampe in den Raum. Dort sah ich drei Mädchen. Sie baumelten an Stahlseilen, die auf Metallschienen an der Kellerdecke festgemacht waren. Ihre Kehlen waren aufgeschlitzt. Das Blut rann über den Hals, den nackten Oberkörper, über die Beine, wo es schließlich von den kleinen Zehen auf den Betonboden tropfte. Davor kauerte ein Werwolf, der das Blut gierig vom Boden aufschleckte und es scheinbar nicht mehr erwarten konnte, die Mädchen genüsslich von den Zehen bis zum Kopf Stück für Stück zu fressen. Ich versteckte das Bild und schwor, Any nie wieder etwas zu fragen. Dieses Bild verfolgte mich in meinen Träumen. Immer wieder tauchte dieser Werwolf auf, knurrend und stinkend, immer wieder schlug er seine Zähne in die Körper der drei Mädchen. Immer wieder wachte ich schweißgebadet auf und traute mich den Rest der Nacht nicht, die Augen zu schließen.
Erst viel später erfuhr ich, dass etwa zehn Jahre bevor mein Vater das Grundstück kaufte, eine geistesgestörte Mutter in diesem Haus Amok gelaufen war und ihre drei Mädchen ermordet hatte. Sie hatte die Kinder im Keller erhängt und ihre Kehlen durchschnitten. Dann hatte sie sich unter die Mädchen gelegt und sich die Pulsadern aufgeschlitzt. Die Leute nannten sie die Werwölfin, da sie aufgrund einer Hormonstörung am ganzen Körper behaart war und am Höhepunkt ihres Wahnsinns dabei beobachtet worden war, auf allen Vieren durch den Garten zu laufen.
Ich starrte auf die Holzbretter, hinter denen die Tür sich befunden hatte. Mein Vater hatte sie auf Drängen meiner Mutter zumauern lassen und vor etwa drei Jahren die Wand mit Fichtenholz verkleidet. Jetzt hingen meine Primaballerinas darauf, als würden sie darauf achten, dass niemand mehr diesen verfluchten Raum betrat.
Auf der Staffelei hing ein Bild, das ich ebenfalls gemalt hatte. Es zeigte Sandra. Ich hatte vorgehabt, es ihr zu schenken, da ihr meine Art Bilder zu malen gefiel. Das Bild war unvollendet. Es scheiterte daran, dass ich es nicht fertig brachte, ihr Gesicht zu malen. Anfangs dachte ich, dass ich sie nicht gut genug kannte, um den Charakter mit wenigen Strichen einzufangen. Jetzt war ich davon überzeugt, dass Sandra kein Gesicht hatte, das man malen konnte. Sie hatte zwei Gesichter und ich konnte mich nicht entscheiden, welches von beiden ihr wahres war. Ich würde diese s Bild wohl niemals vollenden .
Ich wollte das Atelier verlassen, konnte es
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